Journalisten lernen aus Fehlern

Auch wenn ich gestern im Deutschlandfunk kritisiert habe, wie Journalisten dem Attentäter von Christchurch eine Plattform gegeben und damit seine Tat vollendet haben: Viele Kollegen sind gut mit dem Fall umgegangen und haben sich nicht zu seinem Handlanger gemacht. Um mich mal selbst zu zitieren:

So erschien etwa die Hamburger Morgenpost am Samstag mit einer komplett schwarzen Titelseite und dem Text: „Der Massenmörder von Christchurch filmte sich bei seiner monströsen Tat, damit diese Bilder um die Welt gehen. Von uns bekommt er dafür keinen Platz.“

Die Süddeutsche Zeitung erklärte, weder das Video noch Standbilder daraus zu zeigen, um sich nicht die Bildsprache des Täters zu Eigen zu machen. Auch das ZDF entschied so.

Zu Recht.

Ich habe nicht alle Medien durchgeschaut, um eine vollständige Liste zu erstellen. Aber auch netzpolitik.org zum Beispiel zeigt heute in einem Artikel zum Christchurch-Kontext bewusst ein Foto von Opfern mit der Bildunterschrift:

Statt einem Foto des Täters zeigen wir Menschen, die seiner rechtsextremen Gewalt in Christchurch zum Opfer gefallen sind. Auch das ist wichtig, weil es die Strategie des Massenmörders unterläuft.

Auch seinen Namen will netzpolitik.org nicht nennen.

Positive Beispiele nennt auch Boris Rosenkranz in seinem Kommentar bei Übermedien (kostenpflichtig) an. Er schreibt aber auch:

Das Kalkül des Terroristen dürfte aber auch dieses Mal aufgegangen sein. Das hier ist ja nur ein winziger Ausschnitt aus einer Flut von journalistischen Texten, Filmen, Livetickern auf der ganzen Welt. Und es wird nicht das letzte Mal sein, dass wir darüber diskutieren: über die Bilder, die Manifeste, und über die Ohnmacht angesichts solcher Verbrechen und der Wege, diese heute digital zu verbreiten. Spätestens, wenn der Mann vor Gericht steht, wird sich wieder, wie schon bei Breivik, die Frage stellen: Was davon verbreiten wir? Und womit machen wir uns womöglich zu Gehilfen seines menschenverachtenden Plans?

In ihrer Kolumne bei Übermedien (ebenfalls kostenpflichtig, aber immer lohnenswert) weist Samira El Ouassil heute noch mal auf den Zusammenhang zwischen der Berichterstattung über solche Taten und der Gefahr hin, dass sich dadurch Nachahmer inspiriert fühlen. Sie bezieht sich auf sein Bekennerschreiben:

Wer solche Inhalte ohne Einordnung verbreitet, stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl radikalisierter Terroristen und solcher, die es noch werden könnten. Um es ganz deutlich zu schreiben: Einen Text, der zu Terrorakten inspirieren soll, sollten Zeitungen nicht prominent veröffentlichen.

Und auch was die Nicht-Veröffentlichung (oder nur verpixelt) von Fotos angeht, schreibt sie:

Es ist keine Selbst-Zensur, sondern ein Zeichen von journalistischer Souveränität, die ästhetische Deutungshoheit eines Täters zu durchbrechen.

Damit kommen viele Medien auch dem Wunsch von Menschen in Neuseeland nach. Premierministerin Jacinda Ardern hat im Parlament in Wellington angekündigt, (zumindest öffentlich) niemals den Namen des Attentäters von Christchurch auszusprechen. Sie sagte unter anderem:

Mit seinem Terrorakt wollte er viele Dinge erreichen, eines davon war Bekanntheit. Deshalb werden Sie niemals hören, dass ich seinen Namen nenne. (…)

Er ist ein Terrorist, er ist ein Krimineller, er ist ein Extremist. Aber er wird, wenn ich spreche, namenlos sein. (…)

Ich bitte Sie: Nennen Sie die Namen derer, die ihr Leben verloren, statt des Namens des Mannes, der sie auslöschte.

Damit erkennt sie an, dass es Attentätern wie diesem vor allem um Öffentlichkeit geht. Mögliche Nachahmer sollen nicht den Eindruck haben, dass sie durch Massenmord genau den zweifelhaften Ruhm bekommen, den offenbar der Attentäter von Christchurch angestrebt hat – und den ihm viele Medien auch geben, etwa die Bild-Zeitung. Vielleicht setzt tatsächlich ein Umdenken ein – wie es das schon bei Interviews mit Geiseln und Geiselnehmern während der Tat gibt (Gladbeck) oder bei Berichterstattung über Suizide. Journalisten können sich nicht von den Folgen ihrer Berichterstattung freisprechen, sie tragen Verantwortung.