tagesschau.de feiert Rekorde, die es (wahrscheinlich) nicht gibt

Und schon wieder werden Zahlen missbraucht, um neue Rekorde zu bejubeln. So macht es die Tagesschau, die über eine vom WDR bei Infratest Dimap in Auftrag gegebene Umfrage schreibt:

Beide Rekorde halten jedoch einer genaueren Prüfung nicht stand.

Umfrageergebnisse sind immer mit statistischen Unsicherheiten verbunden. Wenn in der Sonntagsfrage danach gefragt wird, welche Partei man wählen würde, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wäre, befragt man nicht alle Wähler, sondern nur rund tausend (hier waren es 1.008) und rechnet das dann hoch. Weil eine solche Hochrechnung aber nicht eindeutig und zuverlässig funktioniert, bekommt man beim Endergebnis Unsicherheiten. Bei einem Wert von fünf Prozent für eine Partei beträgt die mögliche Abweichung 1,4 Prozentpunkte, bei einem Wet von 50 Prozent 3,1 Prozentpunkte.

Wenn also der Wert von CDU/CSU mit 29 Prozent angegeben wird, liegt er nur zufällig dort, viel wahrscheinlicher aber in einer Spannbreite von etwa 27 bis 31 Prozent. Bei der letzten Umfrage sah Infratest Dimap CDU/CSU noch bei 30 Prozent, was einer Spanne von etwa 28 bis 32 Prozent entspricht. Es ist also unseriös, von einer tatsächlichen Veränderung des CDU/CSU-Werts von 30 auf 29 und von einem neuen Rekordtief zu sprechen. Denn möglich wäre auch ein Plus: Wenn die Parteien bei der letzten Umfrage schon bei 28 Prozent lagen und jetzt auf 31 Prozent raufgegangen sind. Man kann es einfach nicht genau sagen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Wert für die AfD. Statt 17 Prozent bewegt  er sich viel wahrscheinlicher in einem Bereich zwischen 15,5 und 18,5 Prozent. Auch hier ist statt einer Steigerung von 16 auf 17 Prozent vom letzten mal die umgekehrte Bewegung möglich: zum Beispiel von 18 auf 16 Prozent.

Ein Prozentpunkt Veränderung ist also statistisch überhaupt nicht relevant, bei höheren Werten sind es nicht mal drei Prozentpunkte. Eine größere Veränderung zwischen zwei Umfragen gibt es aber selten, so dass man von Umfrage zu Umfrage fast nie eine verlässliche Aussage treffen kann. Allenfalls über längere Zeiträume lassen sich Trends ausmachen. Aus denen lassen sich aber keine guten Schlagzeilen stricken, wie es jetzt tagesschau.de getan hat.

Und beim Kommentieren, wie es BR-Chefredakteur Christian Nitsche es getan hat, sollte man sich zurückhalten. Zwar nimmt er tatsächlich auch den längeren Trend in den Blick, hebt aber unnötigerweise auch die aktuellen Werte hervor:

Nach der Bundestagswahl sind diese Umfragewerte die bislang schallendste Ohrfeige für die Bundesregierung. Sie hat aktuell nicht einmal mehr die Hälfte der Bürger hinter sich. Die SPD hat mit weiter 18 Prozent den Volksparteistatus auf nicht absehbare Zeit eingebüßt. Die Union schrumpft unter die absolute Schmerzgrenze von 30 Prozent.

Übrigens: Dass die Werte nicht schwankungsfrei sind, schreibt tagesschau.de sogar selbst am Ende des Textes. Dort heißt es:

Die Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden. Denn für alle repräsentativen Befragungen müssen Schwankungsbreiten berücksichtigt werden. Diese betragen im Falle eine Erhebung mit 1000 Befragten bei großen Parteien rund drei Prozentpunkte, bei kleineren Parteien etwa einen Punkt. Hinzu kommt, dass der Rundungsfehler für kleine Parteien erheblich ist. Aus diesen Gründen wird deshalb keine Partei unter drei Prozent in der Sonntagsfrage ausgewiesen.

Aber vermutlich geht es den Journalisten wie vielen Lesern: Die kommentieren ja auch, bevor sie den ganzen Artikel gelesen haben.

Eine Zukunft für die Öffentlich-Rechtlichen

„Die Medien sind in der Krise“, sagt der Mediensoziologe Volker Grassmuck. Auf der Republica 2018 Anfang Mai in Berlin stellte er sein Projekt vor, öffentlich-rechtliche Medien, die Europeana und Wikipedia zu einem großen Medien- und Wissensprojekt zu verschmelzen.

Er bezieht sich in seinem Vortrag auch auf die Idee einer „Super-Mediathek“, über die der DLF im März berichtet hat. Reaktionen dazu hat Zapp gesammelt.

Offenes Gespräch unter Freunden

Lorenz Lorenz-Meyer, Professur für Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt, ist ein Freund des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er unterstützt die Idee grundsätzlich, hat aber auch Kritik daran, wie sie im Moment ausgestaltet wird. Mittelfristig will er eine Debattenplattform zur Zukunft des Systems einrichten. Bei der Republica in Berlin stellte er diese Idee vor und erläuterte auch, welchen Herausforderungen und Gegnern der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Moment gegenübersteht – und was er dagegen tun kann. Deshalb auch der Titel seines Vortrags: „Offenes Gespräch unter Freunden“.

Wer sich schon länger mit den Anfeindungen des öffentlich-rechtlichen Systems beschäftigt, für den findet sich da vielleicht nicht viel Neues. Für alle anderen ist es eine gute Einführung zum Thema.

Demnächst soll dann übrigens auf dieser Webseite Debattenbeiträge zum Thema veröffentlicht werden. Bis heute hat sich da allerdings noch nichts getan.