Unser Projekt Polizeiprosa geht auf die Bühne. Seit vorigem Jahr sammeln Sandra Müller und ich sprachlich bemerkenswerte, interessante und/oder witzige Texte aus den Pressestellen von Polizeidienststellen – und zeigen sie auf der Webseite und unserem Twitter-Account.
Am 10. April präsentieren Sandra und ich zusammen mit Katharina Thoms und Peter Binder in Wannweil bei Tübingen die schönsten Zitate aus Polizei-Pressemitteilungen, Pressekonferenzen und Statements. So wird unser Netzauftritt lebendig.
Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.
Nach der Bundestagswahl 1990 verfügte die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP im Bundestag über 60,1 Prozent der Sitze.
Im Jahr 2018 werden CDU/CSU und SPD mit ihrer möglichen Koalition über 56,3 Prozent der Sitze verfügen.
Die Preisfrage:
Welche dieser Konstellationen nennt man Große Koalition?
Das Beispiel zeigt, dass der Begriff im Jahr 2018 nicht mehr zutreffend ist.
In Deutschland hatte es sich eingebürgt, ein Zusammengehen der damaligen großen Volksparteien CDU/CSU (als Schwesterparteien) und SPD als Große Koalition zu bezeichnen. Auf Bundesebene sind sie bis heute die mandatsstärksten Parteien. So definiert auch Wikipedia den Begriff – und ergänzt:
Für westeuropäische Staaten wird der Begriff in der Regel verwendet, um eine Koalition zwischen den beiden größten in einem von zwei so genannten Volksparteien dominierten Parteiensystem zu beschreiben, bei dem rechnerisch auch kleinere Koalitionen möglich gewesen wären.
Nun sind zunehmend kleinere Koalitionen nicht mal mehr rechnerisch möglich. Eine Koalition aus CDU/CSU, FDP und den Grünen hätte zwar weniger Sitze gehabt als eine aus CDU/CSU und SPD, wäre aber in gewisse Weise wieder größer gewesen, weil mehr Parteien beteiligt gewesen wären.
Der Begriff „Große Koalition“ jedenfalls passt nicht mehr. Wurde schon bei einer Koalition in der Regel davon ausgegangen, dass sie eine Mehrheit im Parlament besitzt, also mehr als 50 Prozent der Sitze, so suggeriert „Große Koalition“, dass es sich um eine besonders große Mehrheit handelt.
Bis 2017 war das auch der Fall. Damals hielten CDU/CSU und SPD rund 80 Prozent der Sitze. Das war so viel, dass die Opposition aus Grünen und Linkspartei nicht mal all die Rechte ausüben konnte, die eine Opposition sonst eigentlich hat. Das machte die Macht der Koalition noch größer, weswegen der Begriff angemessen war.
Keine #GroKo mehr, bitte
Doch das liegt hinter uns, und es ist an der Zeit, den Begriff „Große Koalition“ für das möglicherweise kommende Bündnis nicht mehr zu verwenden, ebenso wie die nach Kindergarten klingende Abkürzung GroKo, die 2013 Wort des Jahres wurde und die die Jury damals animierte, es mit einem kleinen Krokodil zu bebildern.
Der Begriff verschleiert, wie klein die Koalition tatsächlich ist, obwohl sie aus den ehemals so genannten Volksparteien gebildet wird (die zwischen 1966 und 1969 sogar über knapp 91 Prozent der Sitze im Bundestag verfügte). Auch wenn der Begriff deutlich macht, dass die Koalition eine Mehrheit hat, unterschlägt er, wie groß die Opposition (310 Sitze) im Vergleich zur Koalition (399 Sitze) inzwischen ist.
Es gibt ja durchaus andere Begriffe, die das Bündnis beschreiben: die schwarz-rote Koalition oder die Koalition aus CDU/CSU und SPD etwa. Im Bemühen, die Realität richtig abzubilden, sollten Journalisten wertende Adjektive wie „groß“ nur verwenden, wenn die Sachlage eindeutig dafür spricht. Bei der „Großen Koalition“ tut sie das nicht.
Was läuft gut in den Medien? Was läuft schlecht in den Medien? Was beschäftigt Sie gerade? Diese drei Fragen habe ich neulich dem Medienanwalt Gernot Lehr für @mediasres im Deutschlandfunk gestellt.
Ich habe im Juli 2016 schon mal darüber geschrieben, dass man aus den Fragen eines Journalisten nicht seine Meinung herauslesen kann. Der Journalist fragt aus einer kritischen Position der Meinung seines Gegenübers heraus. Er konfrontiert also CDU-Chefin Angela Merkel nicht mit ihrem Parteiprogramm, sondern mit der Kritik zum Beispiel der Linken am Parteiprogramm.
Offenbar ist das vielen nicht mehr bekannt, was auch die beständige Kritik an ZDF-Moderatorin Marietta Slomka zeigt. Zum ersten Mal kam sie auf, als sie vor vier Jahren den damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel zum geplanten Mitgliederentscheid seiner Partei zum Koalitionsvertrag befragte.
Tatsächlich finde ich ihr Insistieren darauf, dass eine Entscheidung im kleineren Kreis der Parteispitze demokratischer sein könnte als eine Entscheidung unter zehntausenden Mitgliedern, merkwürdig. Und das Interview hat sicher auch wegen seiner Emotionalität auf beiden Seiten für Aufsehen gesorgt.
Aber Slomka macht genau ihren Job: Sie konfrontiert ihre Interviewpartner mit Kritik an deren Positionen. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (hier zum Kaufen) hat sie ihre Arbeit am Wochenende so erklärt:
Es geht bei meiner Arbeit auch nicht um persönliche Sympathien oder darum, was ich als Privatperson meine. Ich setze bei Interviews grundsätzlich den Hut dessen auf, der kritisiert. Das ist auch für den Zuschauer interessanter als nettes Abfragen. Aber es macht einen nicht immer beliebt. Ein Zuschauer schrieb mir kürzlich: „Warum haben Sie Herrn Lindner nicht zu seinem Mut gratuliert, dass er Jamaika abgebrochen hat?“ Weil es nicht mein Job ist, einem Politiker auf die Schulter zu klopfen! Ich gehe in Interviews dahin, wo Reibung ist. Mir das zum Vorwurf zu machen, ist, als würde man zum Klempner sagen: Warum kommen Sie immer nur, wenn das Rohr verstopft ist?
Die Forderung, Journalisten sollten doch bitte „nicht so frech“ oder „nachrichtlicher“ sein, kommt häufig von Parteigängern, die die eigene Meinung oder die ihrer Meinungsführer nicht hinterfragt sehen wollen. Dabei wird dann gern übersehen, dass Fragen keine persönlichen Meinungsäußerungen des Interviewers sind und der Diskurs mit der Gegenseite nicht weniger kritisch geführt wird.
Hier findet sich das Interview mit Lindner:
Freilich kann man sich an Slomkas Fragen im Einzelnen stören – aber dann verwechselt man in der Regel den Botschafter mit der Botschaft.
Die Kollegen aus der Nachrichtenredaktion von Deutschlandfunk Nova haben mal erklärt, wie dort die Nachrichten zustandekommen. Ein gutes Beispiel für mehr Transparenz, die auch ich immer wieder von Medien fordere.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat tatsächlich ein bisschen auf die Kritik reagiert, ideologische Kampfbegriffe wie „Staatsfunk“ und „Zwangsgebühr“ im Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr zu benutzen. Ich jedenfalls lese sie in letzter Zeit kaum noch. Ich weiß nicht, ob ein Lob für eine solche Selbstverständlichkeit schon angemessen ist.
Allerdings sind die Artikel durchaus weiter tendenziös, wie sich nicht nur gestern mal wieder gezeigt hat. Auch schon am Mittwoch erweckte Medienredakteur Michael Hanfeld nämlich den Eindruck, der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm fordere unverschämt viel Geld für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eine berechtigte Kritik, allerdings nicht mit falschen Zahlen. Hanfeld schrieb unter Bezugnahme auf eine Verschlankung der Struktur von ARD und ZDF:
Das dürfte auch nötig sein, wollen die Ministerpräsidenten erreichen, dass es nicht 2021 zu einer massiven Beitragserhöhung kommt. Käme diese nicht, sagte der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm unlängst, würden dem Sendeverbund „kurzfristig drei Milliarden Euro“ fehlen, die man im Programm einsparen müsse. Diese Rechnung ist angesichts von Beitragseinnahmen von rund acht Milliarden Euro pro Jahr und Gesamteinnahmen von etwa neun Milliarden Euro pro anno erstaunlich (der Privatsenderverband VPRT hat für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für das Jahr 2016 sogar Gesamteinnahmen von 9,7 Milliarden Euro errechnet).
Die drei Milliarden, von denen Wilhelm sprach, beziehen sich auf eine vierjährige Gebührenperiode, Hanfeld stellt dem allerdings die Einnahmen aus einem Jahr gegenüber. Drei Milliarden im Vergleich zu acht bzw. neun Milliarden wirken natürlich viel mächtiger als 750 Millionen Euro pro Jahr gegenüber den acht bzw. neun Milliarden. Das ist mindestens tendenziös. Was angesichts anderer Beiträge zum Thema nicht verwundert.
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Angesichts der Vorwürfe gegen Fernsehregisseur Dieter Wedel ist die Frage aufgekommen, ob seine Produktionen noch gezeigt werden sollten? Der Regisseur Simon Verhoeven findet: nein. Die Fernsehkritikerin Barbara Sichtermann plädiert aber dafür, Werk und Künstler getrennt voneinander zu betrachten. Darüber habe ich mit ihr für @mediasres im Deutschlandfunk gesprochen.