Darf man die öffentlich-rechtlichen Sender Staatssender nennen oder nicht?
Ich habe hier gestern der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgeworfen, das Wort als Kampfbegriff für eine Kampagne zu benutzen. Im Medienmagazin @mediasres im Deutschlandfunk hat meine Kollegin Brigitte Baetz noch mit einem Brief an die lieben FAZ-Kollegen nachgelegt.
Beides hat offenbar einen Nerv getroffen, wie Abrufzahlen und Rückmeldungen zeigen. Ein paar Gedanken dazu.
1. Ironie funktioniert nicht
Alte Radioregel, hat sich wieder bestätigt. Brigittes Brief war gar nicht so arrogant gemeint wie er ihr ausgelegt wurde, zum Beispiel vom Branchendienst Meedia, in dem Autor Stefan Winterbauer auch nicht so richtig dazuschreibt, dass er eigentlich kommentiert statt berichtet. Brigitte wollte nur mit einem Augenzwinkern daran erinnern, dass die Auseinandersetzung der FAZ gegen die öffentlich-rechtlichen Sender ja nicht mit solchen Kampfbegriffen geführt werden muss. Wer so austeilt wie die FAZ sollte das wohl einstecken können.
2. Wir haben einen wunden Punkt getroffen
Einige Redakteure, mit denen ich auf Twitter geschrieben habe, fühlten sich tatsächlich beleidigt, von oben abgekanzelt aus angeblich bequemer lebenslanger Festanstellung beim Deutschlandfunk.
Sie macht sich als öffentlich-rechtliche, d.h. abgesicherte Redakteurin über den Auflagenrückgang eines privaten Zeitungsverlags lustig.
— Marc Felix Serrao (@MarcFelixSerrao) August 21, 2017
Dabei haben den die meisten Mitarbeiter dort überhaupt nicht, auch ich nicht. Der Vorwurf ist deshalb Unsinn. Ich verstehe durchaus, dass man manchmal um den eigenen Job bangen muss, glaube aber nicht, dass für die Strukturveränderungen der letzten und kommende Jahre auch bei Zeitungen der öffentlich-rechtliche Rundfunk verantwortlich ist. Damit würde man es sich zu einfach machen. Wie Brigitte schrieb:
Ginge es uns schlecht, es ginge Euch dadurch nicht besser und ihr hättet vermutlich keinen einzigen Abonnenten mehr.
Das bedeutet aber nicht, dass man die Wortwahl und Methoden der FAZ damit rechtfertigen muss. Gegen eine sachliche Auseinandersetzung spricht ja nichts, aber die polemischen Unterstellungen und sachlich falschen Berichte, um Stimmung zu machen, wie die inzwischen dementierte Behauptung, der Rundfunkbeitrag solle auf 21 Euro steigen, helfen nun auch nicht. Oder glaubt die FAZ, auf diese Weise die Reputation der Sender angreifen zu können?
3. Die Sprache bestimmt das Bewusstsein
In Kommentaren unter meinem Beitrag und in ein paar Konversationen auf Twitter wurde der Begriff Staatsrundfunk insofern als angemessen bezeichnet, als dass die Sender vom Staat eingerichtet wurden und er mittelbar für ihre Finanzierung sorgt. Dort schreibt zum Beispiel ein Tim:
4. Staatsrundfunk ist etwas anderes
Wenn wir uns über Dinge unterhalten, klappt das nur, wenn wir jeweils wissen, wovon wir reden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eben strukturell etwas anderes als Staatsrundfunk. Wer sich in anderen Ländern umschaut, sieht das. René Martens schreibt dazu in der taz:
Nun ist es weiterhin geboten, die Zusammensetzung der öffentlich-rechtlichen Kontrollgremien zu kritisieren. Aber in Zeiten, in denen, etwa in Polen oder Ungarn, demokratisch gewählte Regierungen direkt auf die öffentlich-rechtlichen Sender Einfluss nehmen, ist es mindestens bizarr, ARD und ZDF als Staatssender zu bezeichnen. Für die FAZ scheinen ARD und ZDF in erster Linie Punchingbälle im konservativen Kulturkampf zu sein.
5. Es wird gleich über alles diskutiert
Die Diskussion lässt sich nie so eng führen wie sie anfing. Eigentlich ging es um den Begriff „Staatsrundfunk“ mit all seinen Varianten, schnell wurde daraus aber eine Diskussion über die Finanzierung und ob es nun eine Zwangsgebühr oder ein Zwangsbeitrag ist. In diesem Twitter-Threat kann man das nachlesen, wenn man sich durch die nachfolgenden Tweets klickt:
Häme über den Auflagenrückgang eines Verlags ist und bleibt aus öffentlich-rechtlicher Warte genau das: erbärmlich.
— Marc Felix Serrao (@MarcFelixSerrao) August 21, 2017
Am eigentlichen Ausgangspunkt der Diskussion waren wir da schon lange vorbei.
6. Auf neutraler Position steht keiner
Das ist das Problem des Medienjournalismus: Man berichtet über eine Branche, der man selber angehört. Das macht Kritik so angreifbar – es wird geglaubt, man übe sie nur gegenüber der Konkurrenz oder man übe sie nur, um die Konkurrenz zu diskreditieren.
In der Diskussion zeigt sich auch, dass die Fronten weitgehend klar sind: hier die Rundfunkmacher, dort die Zeitungsmacher (inkl. dem Branchendienst Meedia, der zur Verlagsgruppe Holtzbrink gehört). Jeder verteidigt sein Medium, das ist nur verständlich.
Aber nur, weil ich zum Beispiel für den Deutschlandfunk arbeite, dessen Dachmarke Deutschlandradio pro Beitragszahler 48 Cent des monatlichen Rundfunkbeitrags bekommt, heißt das nicht, dass ich für jeden Beitrag, jedes Interview im Haus verantwortlich gemacht werden kann. Erst recht nicht für das, was samstags um 20.15 Uhr im Ersten gesendet wird oder wieviel für Sportrechte ausgegeben wird. Ich finde auch nicht alles gut, was aus unseren Häusern kommt, und verteidige es deswegen auch nicht. Leider helfen solche Zugeständnisse in der Diskussion aber selten.
Ein paar Hörermeinungen zum Thema, durchaus in beide Richtungen, findet man übrigens hier:
Es gibt aber eben auch einen Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und Staatsrundfunk, den gängige Definitionen wie die bei Wikipedia:
Ähnlich definieren es auch der Duden und andere Nachschlagewerken, vor allem in der Fachliteratur. Diesen Unterschied wollen manche Kommentatoren aber nicht sehen.