Ich hab mal drei Freunde gefragt, ob sie Angst vor einem Krieg haben. Zwei haben gesagt: Ja. Einer sagte: Nein.
66 % haben also Angst vor Krieg.
Angela Merkel, was sagen Sie dazu?
Klingt weit hergeholt? Mitnichten.
Habt Ihr Angst vor einem Krieg? #DeineWahl
— DeineWahl (@DeineWahl2017) August 16, 2017
Diese Frage wurde im Rahmen des YouTube-Interviews mit Merkel tatsächlich so gestellt. Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, diesen Unsinn zu kritisieren. Fangen wir mal so an:
1. Die Umfrage ist nicht repräsentativ.
Das heißt, sie hat keinerlei Aussagekraft. Jedenfalls keine größere als meine eingangs zitierte Umfrage unter Freunden. Denn es wurde eine nicht repräsentative Gruppe befragt. 554 Accounts haben mitgemacht.
Selbst um eine Umfrage repräsentativ zu machen, befragen Umfrageunternehmen in der Regel etwa eintausend Personen – und gewichten die Antworten dann noch. Seriöse Demoskopen könnten mit dieser Befragung gar nichts anfangen.
Selbst wenn alle Follower mitgemacht hätten, wäre nichts Besseres dabei herumgekommen: Stand 18.48 Uhr hatte der Account @DeineWahl2017 1.207 Follower, zum Zeitpunkt der Befragung wahrscheinlich weniger.
Dass diese Gruppe zufällig repräsentativ ist, lässt sich praktisch ausschließen – zum einen ist es die junge Zielgruppe der vier YouTuber nicht, zum anderen auch nicht die Inhaber eines Twitter-Accounts: Nur 4 Prozent der deutschen Onliner haben einen Twitter-Account und könnten sich damit an der Umfrage beteiligen. Selbst wenn man die mehr als 80 Retweets mitzählt, wird keinerlei Repräsentativität erreicht.
Dieses eine Argument reicht eigentlich schon. Trotzdem will ich noch auf drei Punkte hinweisen:
2. Die Antworten sind verzerrt.
Als die Umfrage gestartet wurde, befragte im YouTube-Interview Mirko Drotschmann Angela Merkel gerade zum Thema (hier der Link, ab 1:17:35, Video lässt sich nicht einbetten):
„Wo wir gerade beim Thema Konflikt sind (er bezieht sich auf die Türkei, SF): Viele meiner Zuschauer machen sich Sorgen. Nordkorea ist ein Stichwort, es gibt andere Konflikte auf der Welt. Und eine Frage, die tatsächlich immer wieder auftaucht – wirkt vielleicht zuerst mal so ein bisschen banal oder lächerlich – aber die kommt immer wieder von jungen Menschen: Müssen wir Angst haben vor einem Dritten Weltkrieg?“
Wie viele antworteten bei der Frage also unter Bezugnahme auf einen Weltkrieg oder auf die Türkei, über deren Konflikt mit westlichen Ländern gerade ausführlich gesprochen wurde?
Und was ebenfalls zeigt:
3. Die Frage ist viel zu unspezifisch.
Ich habe Angst vor Krieg. Ich wäre ungerne in einem Krieg. Wie wahrscheinlich jeder. Aber ich halte es gerade nicht für sehr wahrscheinlich, dass einer ausbricht – jedenfalls nicht da, wo ich bin.
So genau wurde aber gar nicht gefragt. Darauf weist Twitter-Nutzer Dominik Deobald hin:
Wer denkt sich diese Fragen aus? Angst vor Krieg? Ja. Erwarte ich einen bei uns vor der Haustür? Nein. 2 total unterschiedliche Fragen.
— Dominik Deobald (@BlaM4c) August 16, 2017
Die Twitter-Antworten zeigen, wie unterschiedlich die Nutzer die Frage interpretieren: 3. Weltkrieg, Krieg in Deutschland, zwischen Nordkorea und den USA, mit Russland, China?
#deinewahl Sollte man Angst vor Krieg mit der Türkei haben? USA? Russland? China? Nordkorea? Deutschland(größter Waffenexporteur)?
— Justin Immig (@justin_immig) August 16, 2017
Vor was haben die Nutzer also Angst? Wir wissen es nicht.
Die Umfrage kann zudem nur wenige Minuten gelaufen sein – zwischen 14.14 Uhr und dem Endergebnis, das um kurz vor 14.30 Uhr präsentiert wurde. Ein kurzer Erhebungszeitraum ist eigentlich gut, aber wegen der beschriebenen Unsicherheiten macht der die Ergebnisse auch nicht zuverlässiger.
Ich will die Angst an sich nicht kleinreden. Etwa 271 Nutzer haben eine solche Angst artikuliert – aber vor was genau, wissen wir eben nicht. Dennoch wird die Umfrage von den Tweet-Zitatoren nach dem Merkel-Interview implizit als verlässlich dargestellt, wenn sie sagen:
„Quasi die Hälfte, (…) 51 Prozent haben gesagt: Nein, die Angst ist nicht da. Also weniger als die Hälfte hat hier zugestimmt.“
Und das zeigt auch:
4. Die Fehlertoleranz wird ignoriert
Wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist, ist der Hinweis auf die Fehlertoleranz natürlich eigentlich sinnlos. Diese gibt normalerweise an, in welcher Bandbreite sich die Ergebnisse bewegen, wenn eine repräsentative Umfrage unter denselben Bedingungen wiederholt wird. Bei der Sonntagsfrage sind das zwischen 1,5 und 3 Prozentpunkten. Das heißt aber, dass bei einem solchen Ergebnis die Verteilung auch ebenso gut andersherum sein könnte.
Merkel sagt dazu: „Ich muss das sehr ernst nehmen.“ Was soll sie auch sagen?
Die Umfrage ist unverantwortlich
Die Umfrage gaukelt vor, die Meinung von Nutzern auf statistische und somit verlässliche Weise sichtbar zu machen, zeigt aber nur einen vagen Ausschnitt der Wirklichkeit. Indem sie suggeriert, die Hälfte der Befragten habe Angst vor einem Krieg, bekräftigt sie die eine Seite in ihrer Meinung und bringt die andere zum Zweifeln. Eine solche Umfrage auf diese Weise öffentlich zu präsentieren ist unverantwortlich.
Das alles zeigt zweierlei:
Erstens mangelt es den YouTube-Machern an Professionalität und Seriösität – eine solche Umfrage vor allem zu diesem Thema zu verbreiten schürt genau die Angst, die man eigentlich einfangen wollte – vor allem durch die Bekräftigung Merkels, auch wenn sie zuvor eine solche Angst als unbegründet bezeichnet hat.
Zweitens ist Verständnis über die Aussagekraft solcher Umfragen nicht mal bei demjenigen vorhanden, der sie vorstellt – wie soll dann der normale Nutzer sie verstehen. Manche Antwort zeigt das auch:
der Bevölkerung? Ich glaube eher dass es der verunsicherten Hälfte Halt gibt, mit der Angst nicht allein zu sein.
— kaipttery (@scrinkle) August 16, 2017
Die „verunsicherte Hälfte“ kann eine Hälfte sein; diese Umfrage belegt das aber nicht. Und selbst eine erneuter Hinweis auf die fehlende Repräsentativität hilft nicht unbedingt:
so what, klar ist so ne ad hoc umfrage nicht repräsentativ. Das schmälert doch ihre Aussagekraft nicht.
— kaipttery (@scrinkle) August 16, 2017
DOCH. GENAU DAS.
(Natürlich kann auch ich nicht von diesem einen Nutzer auf alle schließen, aber schon die Unfähigkeit, eine solche Umfrage richtig durchzuführen und zu präsentieren, zeigt, wie weit verbreitet die Unkenntnis über dieses Instrument ist.)
Ich habe übrigens auch Angst vor Krieg. Im Allgemeinen. Ich wäre ungerne in einem Krieg. Aber ich halte ihn für nicht sehr wahrscheinlich.
100 Prozent der Autoren dieses Blogs kriegen bei solchen Umfragen zuviel.
Befragte: 1. Erhebungszeitraum: 16.08.2017, 20.04 Uhr. Fragestellung: „Kriegen Sie bei solchen Umfragen zuviel?“ Ergebnis ist nicht repräsentativ.
Nachtrag, 21.15 Uhr: Ich habe ein paar Sätze am Anfang von Punkt 3 klarer formuliert.