Die Twitter-Teams von Schäuble und Zypries im Clinch

Noch gestern las ich ein Zitat der Pressesprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe, die sagte:

„Wer twittert, muss seinem #SocialMedia-Team vertrauen. Viel Zeit für Abstimmung ist nicht.“

Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Medien. Während bei Radio und Fernsehen fast jeder Satz, der on air geht, abgesprochen und abgenommen ist, geht das bei Inhalten, die per Social Media ausgespielt werden, ganz einfach nicht. Da muss schnell reagiert und geantwortet werden. Kein Wunder, dass dabei auch mal was schief gehen kann – genauso in Pressestellen.

Ob das auch im Fall der beiden Social-Media-Teams des CDU-geführten Bundesfinanzminsteriums und des SPD-geführten Bundeswirtschaftsministeriums der Fall ist, lässt sich schwer sagen. Von dort wurden heute drei Tweets abgesetzt – eine Auseinandersetzung über die richtige Politik im Kleinen.

ministerien-auf-twitter-jpg_largeEine bemerkenswerte kleine Auseinandersetzung – schließlich regieren CDU und SPD gemeinsam in der Großen Koalition. Und ihre Auseinandersetzungen führen sie normalerweise zwischen Politikern, nicht zwischen Pressestellen – und nicht per Social Media. Denn die Linien werden schließlich von Politikern vorgegeben, nicht vom Social-Media-Team oder der Pressestelle.

Nachtrag, 17. März: SPIEGEL online hat bei den Ministerien mal nachgefragt, was da los war.

 

Hauptstadt oder Hochburg? Die Sensibilität des Übersetzers

Als Donald Trump noch nicht Präsident war, nannte er Belgien einmal eine „beautiful city“.

Daran fühlte ich mich erinnert, als ich gestern vom Zitat des türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu las. Er soll die Niederlande als „Hauptstadt des Faschismus“ bezeichnet haben, berichten zum Beispiel die Rheinische Post und das ZDF.

Vom Inhalt mal abgesehen – wurde hier richtig übersetzt?

Die Cosmo-Kollegin Evren Zahirovic bestätigt die Übersetzung und sagt, dass dieser Ausdruck im Türkischen geläufig sei. Allerdings erinnert er mich in seiner wortwörtlichen Übersetzung doch zu sehr an Trumps „Belgium is a beautiful city“ und lässt den Urheber etwas schräg dastehen. Statt Übersetzung wäre also eine Übertragung notwendig.

So macht es zum Beispiel der Deutschlandfunk, der „Hochburg des Faschismus“ schreibt. Gerade jetzt, in der Schärfe der Auseinandersetzung, ist es wichtig, auch in der Übersetzung genau zu sein, vor allem bei Beleidigungen und den damit verbundenen Konnotationen, damit der Streit nicht unnötig eskaliert. Auch Medien sollten sich dessen bewusst sein.

Offenlegung: Ich bin freier Mitarbeiter beim Deutschlandfunk.

Staatspresse Focus Online

(Screenshot: focus.de)
(Screenshot: focus.de)

Wie ernst man Focus Online nehmen muss, sei mal dahingestellt. Heute landete ich zufällig auf der Seite, weil ich nach eine Pressemitteilung der Polizei in Hoyerswerda suchte. Fündig wurde ich nicht etwa im Presseportal, sondern bei Focus online. Dort war die Pressemitteilung im Original abgedruckt – unbearbeitet, nicht nachrecherchiert. Einfach eins zu eins durchgereicht. Kein Wunder: Schließlich wurde die Mitteilung vom Sächsischen Staatsministerium des Innern erstellt – und bei Focus Online veröffentlicht.

erstelltImmerhin weist die Redaktion selbst darauf hin. Fragwürdig finde ich es dennoch.

100 Bücher über das Reisen – der Literaturmarathon 2017

Einmal im Jahr wird 24 Stunden nonstop vorgelesen: beim WDR5 Literaturmarathon. In diesem Jahr haben wir (mehr als) 100 Bücher über das Reisen ausgesucht. Wobei: Vorgeschlagen wurden die Bücher von WDR5-Hörern, daraus ausgewählt haben dann mehrere Autoren, zu denen auch ich gehöre. Wir haben geprüft, was vorgeschlagen wurde, überlegt, zu welchen Themen innerhalb des Oberthemas Reisen wir gerne Ausschnitte haben wollen, und dann Stellen aus diesen Büchern ausgewählt, die auch für Nicht-Leser funktionieren, wenn man sie ihnen vorliest.

Gelesen wird heute Abend ab 22 Uhr bis morgen Abend um 22 Uhr. Ich hatte die Freude, dabei Szenen aus diesen Büchern auszuwählen und zu bearbeiten:

Freitag, 22 bis 24 Uhr: „Das große Los“ von Meike Winnemuth, die ein Jahr lang in zwölf verschiedenen Städten auf der Welt gelebt hat

Samstag, 2 bis 4 Uhr: „180 Grad Meer“ von Sarah Kuttner über eine junge Frau, die gerne mit dem Zug fährt

Samstag, 10 bis 12 Uhr: „Der seekranke Walfisch“ von Ephraim Kishon über die kulturelle Begegnung mit Engländern

Samstag, 12 bis 14 Uhr: „Otherland“ von Tad Williams über Reisen in der Virtualität

Samstag, 14 bis 16 Uhr: „Russische Reise“ von John Steinbeck und Robert Capa über die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg, „Leise singende Frauen“ von Wilhelm Genazino über einen herumstreunenden Großstädter

Samstag, 16 bis 18 Uhr: „In eisige Höhen“ von Jon Krakauer über die Besteigung des Mount Everest

Es lohnt sich, möglichst viel der 24 Stunden mitzubekommen – auch direkt im WDR-Funkhaus in Köln. Das sieht dann so aus:

Es sind bewegende und berührende, lustige, traurige und abenteuerliche Geschichten dabei. Das Programm im Überblick gibt es hier, den genauen Sendeablaufplan hier.

Wir gehen @mediasres

Funkhaus des Deutschlandfunks in Köln
Funkhaus des Deutschlandfunks in Köln

Medien sind heute für jeden selbstverständlich. Hat man sie vor 30 Jahren selbst lediglich konsumiert – und Zeitungen gelesen, Radio gehört, Fernsehen geguckt – so ist man heute selbst Medienproduzent. Und kann darüber hinaus noch auf eine Vielzahl von Quellen zurückgreifen, die früher Journalisten vorbehalten waren. Das bringt viele Vorteile und einige Nachteile. Vor allem aber hat es sehr viel Neues mit sich gebracht: nicht nur das persönliche Verhältnis zu Medien, sondern auch eine gewisse Überforderung, so ganz nebenbei die Seiten gewechselt zu haben.

Es ist eine ganze Reihe von Technologien, die dazu beigetragen haben: das Internet im Allgemeinen, soziale Netzwerke im Besonderen, mobile Netzwerkverbindungen, immer öfter verfügbares WLAN, die allzeit bereite Kamera im Handy für Fotos und Videos. All das versetzt jeden Nutzer heute in die Lage, nicht nur zu empfangen, sondern auch selbst zu senden. Mit all den Chancen und Schwierigkeiten, die das mit sich bringt.

Nicht nur haben Journalisten zuweilen das Gefühl, unter diesen Entwicklungen zu leiden, anstatt sie als Herausforderung zu begreifen. Auch kommen sie den Herausforderungen nur unzureichend entgegen – schon der Tatsache, wie präsent Medienthemen heute jeden Tag sind.

Lediglich auf den Medienseiten der Tageszeitungen und natürlich bei Mediendiensten im Netz geht es täglich um die Herausforderungen der allumfassenden Medialisierung. Was aber fehlt, ist ein tägliches Magazin im Radio, das sich mit Medienthemen beschäftigt.

Die bestehenden Medienmagazine im Radio – wie die gleichnamigen Sendungen etwa bei Radio Eins oder bei B5 aktuell, „Töne Texte Bilder“ bei WDR5 oder „Markt und Medien“ im Deutschlandfunk – leiden vor allem darunter, dass sie nicht so aktuell sind wie sie sein müssten. Und zum Teil im Ein-Mann-Betrieb arbeiten. Am Wochenende können sie nur noch zurückschauen auf Themen, die längst von verschiedenen Seiten aus betrachtet und durchgesprochen worden sind.

Der Deutschlandfunk schafft Abhilfe: Ab dem 20. März beschäftigt sich täglich eine 25-minütige Sendung mit Medien. Sie trägt den beziehungsreichen Titel @ mediasres. Sie will sich nicht nur mit tagesaktuellen Themen beschäftigen, sondern auch auf Hintergründe schauen und sich mit längerfristigen Entwicklungen beschäftigen – täglich zwischen 15.35 und 16 Uhr im Deutschlandfunk und natürlich im Netz.

Ich freue mich, dass ich als Redakteur und Moderator dabei sein kann.

Eine kleine Prosa über Thomas Hitzlsperger in der „Welt“

Es ist bemerkenswert, wie Welt online eine kleine Unterhaltung zwischen zwei Fußballern zu einem großen Artikel aufpumpt. Der Autor Stephan Flor wagt dabei Ausflüge in die Prosa, um aus einem kurzen Moment einen möglichst langen Artikel zu machen.

Und darum geht es: Fußballer Clarence Seedorf fragt seine Kollegen Thomas Hitzlsperger, warum dieser so offen darüber spreche, dass er schwul ist. Anschauen kann man sich das hier:

Das reicht Welt-Autor Flor aber nicht. Zunächst stellt er Hitzlsperger vor, dem er dann lobend bescheinigt:

Hitzlsperger macht aus seiner Homosexualität kein Geheimnis mehr, stellt sie aber auch nicht ins Schaufenster. Wenn es darauf ankommt und es wichtig ist, thematisiert er sie.

In diesem Stil geht es weiter. Immer wieder driftet Flor in Prosa ab, etwa wenn er schreibt:

Der Deutsche lockerte die Stimmung mit einem Spruch auf…

Dann wandte er sich mit einer ernsten Frage an Hitzlsperger.

Hitzlsperger erklärte Seedorf in zwei Minuten in beeindruckender Weise…

…sagte Hitzlsperger in geschliffenem Englisch.

Dann kommt Hitzlsperger zum entscheidenden Punkt, warum er es für so wichtig hält, über seine Homosexualität zu reden.

Hitzlsperger will niemanden mit seinen Aussagen ärgern, schon gar nicht Seedorf.

Die Worte beeindruckten Seedorf.

Es ist eine kleine subjektive Geschichte, die die „Welt“ hier erzählt, keine neutrale Erzählung dessen, was passiert ist. Woher weiß der Autor, was Hitzlsperger will? Wie beeindruckt Seedorf ist? Es sind eine ungewöhnliche Art, die kurze Episode zu erzählen.

Lesezeit laut „Welt“ übrigens: 4 Minuten. Dauer der Episode: rund 2 Minuten.

P.S.: Spiegel online macht vor, wie man das auch etwas sachlicher tun kann.