Viele der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ sind offenbar von Angst angetrieben – zumindest viele derjenigen, die den Organisatoren folgen. Das ließ sich in den letzten zwei Jahren Äußerungen von Demonstranten entnehmen. Blenden wir einmal aus, dass die Motivation der Organisatoren nicht unbedingt ebenso auf Angst basiert, so sind bestimmte Ängste zumindest bei denen, die ihnen folgen, vorhanden. Ebenso bei den Wählern der AfD.
Dass die Rhetorik von Populisten dieses Schlages in starkem Maße auf Angst setzt, haben Tobias Döll und Anna Orth vorige Woche bei Panorama gezeigt. Sie beziehen sich dabei nicht nur auf vorhandene Ängste, sondern verstärken sie bewusst. Und machen sich dabei einen psychologischen Mechanismus zunutzen, dem sich Menschen nur schwer entziehen können. Sie docken ihre Angstszenarien an verfügbaren Fakten an. Und bedienen damit die sogenannte Verfügbarkeitsheuristik, die der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann in seinem Standardwerk „Schnelles Denken, langsames Denken“ beschrieben hat. Heuristik beschreibt dabei die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit dennoch zu wahrscheinlichen Aussagen oder praktikablen Lösungen zu kommen (Wikipedia).
Menschen greifen unbewusst dann auf diese Heuristik zurück, wenn sie zum Beispiel eine bestimmte Wahrscheinlichkeit abschätzen sollen. In der Diskussion über Ängste wäre das zum Beispiel die Frage, wie wahrscheinlich es ist, bei einem Terroranschlag zum Opfer zu werden. Was Menschen bei so einer Bewertung tun, sei einfach, so Kahnemann (S. 164):
Beispiele der jeweiligen Kategorien werden aus dem Gedächtnis abgerufen, und wenn der Abruf leicht und flüssig ist, wird die Kategorie als groß beurteilt.
Das heißt, es wird nicht die eigentliche Frage beantwortet, die möglicherweise in statistischen Werten angegeben werden könnte oder bei einem Blick auf die Toten durch Terrorismus in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten.
(You will find more statistics at Statista)
Diese Grafik zeigt etwa, dass in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten nur sehr wenige Menschen bei Terroranschlägen getötet wurden. Aber auch wenn man nicht in die Zukunft schauen kann (so waren die Toten des 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania auch nicht vorhersehbar), so lässt sich doch die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags zu werden, als eher gering bezeichnen.
Woran denken jedoch Menschen, wenn sie nach ihrer persönlichen Angst in dieser Hinsicht gefragt werden? Sie greifen auf die Verfügbarkeitsheuristik zurück und ersetzen damit eine Frage, die etwa auf der Grundlage solcher statistischer Daten beantworten werden könnte. Kahnemann schreibt (S. 165):
Sie wollen die Größe einer Kategorie oder die Häufigkeit eines Ereignisses abschätzen, aber Sie berichten darüber, wie leicht Ihnen Beispielfälle eingefallen sind.
Das führt dazu, dass etwa in Umfragen zur Terrorwahrscheinlichkeit direkt nach entsprechenden Anschlägen die Wahrscheinlichkeit als höher eingeschätzt wird als vorher, etwa in dieser hier der R+V-Versicherung.
(Ob die Mehrheit der etwa 2.400 Befragten tatsächlich befürchtet, selbst Opfer eines Terroranschlags zu werden, lässt sich hieraus übrigens nicht ablesen. In der Umfrage sollten sie auf einer Skala von 1 bis 7 angeben, wie sehr sie Angst davor haben, dass „terroristische Vereinigungen Anschläge verüben“.)
Kahnemann schreibt, es sei möglich, aber anstrengend, dieser großen Zahl potenzieller Verfügbarkeitsfehler zu widerstehen – etwa mit einer Frage wie (S. 166):
„Ist unsere Einschätzung, dass Diebstähle durch Teenager ein großes Problem sind, nur darauf zurückzuführen, dass es in letzter Zeit in unserem Viertel einige Fälle gegeben hat?“
Es sei sehr anstrengend, vor solchen Verzerrungen auf der Hut zu sein, so Kahnemann, aber die Chance sei manchmal die Mühe wert. Es könnte der aufgeregten Diskussion sicherlich helfen, aber das scheint nicht die Absicht derjenigen zu sein, die diese Ängste für ihre Zwecke ausnutzen. Vereinfachte Darstellungen wie diese hier zeigen dies sehr deutlich:
#Chemnitz pic.twitter.com/B4LyaQDACU
— Götz Frömming (@GtzFrmming) October 9, 2016
Dass die Gefahr von Terroranschlägen tatsächlich erhöht sein mag, spielt bei dieser Betrachtung nur eine geringe Rolle. Denn in jedem Fall ist die Angst im Vergleich zur tatsächlichen Gefahr sehr viel stärker gewachsen.
Selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass es keine monokausale Erklärung gibt. Der Risikoforscher Ortwin Renn schreibt etwa bei zeit.de:
Es sind vor allem die Willkür und die Zufälligkeit der Anschläge, die Angst und Furcht verbreiten.
Aber er hält auch fest, dass das Risiko äußerst gering sei, in Europa wegen eines Amoklaufs oder Terroranschlags zu sterben. Diesen Aspekt betonend, kann man der ungezügelten Angstlust von Populisten etwas entgegenhalten.