„Terror“: Oliver Berbens beschränkte Bevölkerung

Das Theaterstück „Terror“ des Autors und Strafverteidigers Ferdinand von Schirach stellt eine heikle Frage: Darf der Staat ein Passagierflugzeug mit hunderten Menschen an Bord abschießen, wenn Terroristen drohen, es in ein vollbesetztes Stadion zu steuern?

Eine Frage, die das Bundesverfassungsgericht bereits beantwortet hat: Er darf es nicht – jedenfalls nicht in der Form des Luftsicherheitsgesetzes, das die rot-grüne Bundesregierung nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf den Weg brachte. Der Tenor: Indem die an der Tat unbeteiligten Passagiere des Flugzeugs getötet werden, verstoße der Staat gegen die Menschenwürde, die im Grundgesetz garantiert wird.

Allein in Deutschland wurde und wird das Stück bisher an 39 Theatern gespielt. Es ist ein Gerichtsdrama, das den eingangs geschilderten Fall fiktiv durchspielt. Angeklagt ist ein Bundeswehrpilot, der ein entführtes Flugzeug abgeschossen hat, um zu verhindern, dass es in ein Stadion gelenkt wird. Am Ende stimmen die Zuschauer ab, ob der Pilot freigesprochen oder verurteilt wird.

39 Premieren innerhalb eines Jahres – selten war ein Stück erfolgreicher. Kein Wunder, dass der Produzent Oliver Berben daraus auch einen Film machen wollte, der am kommenden Montag gezeigt wird. Auch hier sollen die Zuschauer abstimmen

Anders als bei den Theaterinszenierungen gibt es dagegen jedoch Protest. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum und der ehemalige Vizepräsident des Bundestags, Burkhard Hirsch, sprachen sich unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dagegen aus, die Zuschauer abstimmen zu lassen. Hirsch sagte dort über von Schirach:

Er verfälscht die Wirklichkeit und macht die Zuschauer zu Richtern in einer Sache, die sie für die Wirklichkeit halten, ohne die eigentliche Konfliktlage erkennen zu können.

Beide kritisieren, dass von Schirach das Stück so dramatisiere, dass den Zuschauern für ihre Entscheidung keine andere Wahl bleibe als die, den Piloten freizusprechen – auch wenn der Autor selbst den Piloten als schuldig bezeichnet hatte. Baum sagt:

Hier wird doch in Wahrheit über das Grundgesetz abgestimmt. Und die Richter sitzen im Wohnzimmer. Und welche Konsequenz soll eine solche Abstimmung haben? Wird dann noch der regionale Vergleich gezogen, wie die Zuschauer in den einzelnen Ländern abstimmen? Was soll daraus hervorgehen? Ich rate Herrn Herres, dem Programmdirektor der ARD: Lassen Sie das!

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verteidigte Produzent Oliver Berben die Abstimmung nach dem Film.

Damit entmündigen Sie den Zuschauer. Ich halte unsere Bevölkerung nicht für so beschränkt. Und den Film zu zeigen, ohne abzustimmen – was ist das denn für eine Idee? Der demokratische Hebel, der da drinsitzt, wird dann rausgenommen. Und was soll denn das dann sein am Ende? Sollen wir dann einfach aufhören?

Wenn Berben sagt, dass er die Bevölkerung nicht für so beschränkt halte, übersieht er, dass es durchaus schon Zahlen gibt. Der Verlag Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH hat die Ergebnisse der Abstimmungen nach allen Theateraufführungen weltweit gesammelt. Demnach gab es in bisher 438 Vorstellungen in Deutschland 411 Freisprüche. In den Worten von Baum und Hirsch also 411 verfassungswidrige Entscheidungen. Insgesamt 85.011 Zuschauer stimmten für einen Freispruch, 57.192 für eine Verurteilung des Piloten. Es ist also einigermaßen vorauszusehen, wie die Fernsehzuschauer abstimmen könnten.

Wer sich die Abstimmungsergebnisse im Gesamtverlauf seit der Uraufführung ansieht, könnte daraus sogar noch weitergehene Schlüsse ziehen. In der Grafik von Kiepenheuer wurde die Gesamtheit an prozentualen Stimmanteilen für einen Freispruch vermerkt. Die Terroranschläge von Paris im November 2015 sind mit einem P markiert, die von Brüssel mit einem B.

(Screenshot: http://terror.theater/cont/results_main/de)
(Screenshot: http://terror.theater/cont/results_main/de)

(Erfasst sind die Abstimmungsergebnisse von 33 Theatern in 6 Ländern im Zeitraum 03.10.2015 bis 10.10.2016.)