Nach dem Anschlag in Orlando ist das Rennen offener denn je

Ist es pietätlos, jetzt schon, nicht mal 24 Stunden nach dem schweren Anschlag auf einen Nachtclub in Orlando, bei dem offenbar mindestens 50 Menschen getötet wurden, über den Wahlkampf zu reden oder zu schreiben?

Möglich.

Aber es ist längst geschehen. Der designierte Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump, hat den Anschlag längst für seine Zwecke instrumentalisiert, als er Amtsinhaber Barack Obama zum Rücktritt aufforderte, nur weil der zunächst nicht von einem islamistischen Anschlag sprechen wollte.

Zwar hat sich die Terrormiliz IS zu dem Anschlag bekannt, allerdings sieht die Polizei in den USA für Verbindungen des Täters zum IS bisher keine Beweise. Kein Wunder, dass sich auch Obama mit Schuldzuweisungen zurückhielt, als er sagte:

„Wir wissen noch nicht, warum der Täter dies getan hat. Was klar ist, ist dies: Er war eine von Hass erfüllte Person.“

Seine Konkurrentin Hillary Clinton, die voraussichtlich für die Demokraten ins Rennen um die Präsidentschaft gehen wird, hielt sich ebenso wie Obama zurück.

Auswirkungen auf den Wahlkampf

Als ich im April mit zehn anderen deutschen Journalisten Redaktionen in den USA besucht habe, gaben sich die meisten unserer Kollegen dort davon überzeugt, dass Donald Trump als Präsidentschaftskandidat der Republikaner keine Chance haben würde – nicht im Vorwahlkampf gegen seine innerparteilichen Konkurrenten und erst recht nicht im entscheidenden Rennen gegen die designierte Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton.

Mit der ersten Einschätzung lagen schon viele daneben, wie sich im Mai zeigte. Auch mit der zweiten?

Jeff Mapes, der beim öffentlich-rechtlichen Radiosender OPB in Portland (Oregon) als politischer Reporter arbeitet, sah sich damals schon außerstande, eine verlässliche Prognose zu Trump abzugeben. Auf die Frage, ob er eine Erklärung für dessen Erfolg habe, sagte er:

„Die Erklärungen dafür lagen so oft daneben. Es gab so viele Vorhersagen, dass die Leute eher müde von diesem Zirkusartisten würden und er nicht die ganzen Vorwahlen durchhalten würde. Sein Reiz wurde wirklich verkannt. Es besteht kein Zweifel, dass er die Sorgen eines bestimmten Teils der Amerikaner aufgenommen hat, ähnlich wie die rechten nationalistischen Parteien, die Sie in Europa haben. Sehr besorgt über die Einwanderung.“

Gerade dieser Aspekt wird in Zusammenhang mit dem Anschlag eine Rolle spielen, soll der Täter doch ein in Florida lebenden US-Bürger afghanischer Abstammung sein.

Nur zwei Ereignisse, so sagten viele der Journalisten, mit denen wir im April gesprochen haben, könnten den Wahlausgang zugunsten von Hillary Clinton noch ernsthaft in Gefahr bringen: eine ernste wirtschaftliche Krise und ein schwerer Terroranschlag. Viel wird jetzt davon abhängen, wie Trump und Clinton auf das Ereignis reagieren – und wie die Wähler das goutieren. Mit Rationalität allein war zumindest bei Trumps Anhängern ohnehin wenig zu erreichen. Sowohl er als auch Clinton haben sich in der Vergangenheit nicht gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie die Herzen der Wähler erwärmen können – da dürfte der amtierende Präsident Barack Obama einen besseren Job machen.

Das Rennen, das vor allem in Europa viele schon für Hillary Clinton ausgemacht sahen, ist jetzt offener denn je.

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