Wir gehen @mediasres

Funkhaus des Deutschlandfunks in Köln
Funkhaus des Deutschlandfunks in Köln

Medien sind heute für jeden selbstverständlich. Hat man sie vor 30 Jahren selbst lediglich konsumiert – und Zeitungen gelesen, Radio gehört, Fernsehen geguckt – so ist man heute selbst Medienproduzent. Und kann darüber hinaus noch auf eine Vielzahl von Quellen zurückgreifen, die früher Journalisten vorbehalten waren. Das bringt viele Vorteile und einige Nachteile. Vor allem aber hat es sehr viel Neues mit sich gebracht: nicht nur das persönliche Verhältnis zu Medien, sondern auch eine gewisse Überforderung, so ganz nebenbei die Seiten gewechselt zu haben.

Es ist eine ganze Reihe von Technologien, die dazu beigetragen haben: das Internet im Allgemeinen, soziale Netzwerke im Besonderen, mobile Netzwerkverbindungen, immer öfter verfügbares WLAN, die allzeit bereite Kamera im Handy für Fotos und Videos. All das versetzt jeden Nutzer heute in die Lage, nicht nur zu empfangen, sondern auch selbst zu senden. Mit all den Chancen und Schwierigkeiten, die das mit sich bringt.

Nicht nur haben Journalisten zuweilen das Gefühl, unter diesen Entwicklungen zu leiden, anstatt sie als Herausforderung zu begreifen. Auch kommen sie den Herausforderungen nur unzureichend entgegen – schon der Tatsache, wie präsent Medienthemen heute jeden Tag sind.

Lediglich auf den Medienseiten der Tageszeitungen und natürlich bei Mediendiensten im Netz geht es täglich um die Herausforderungen der allumfassenden Medialisierung. Was aber fehlt, ist ein tägliches Magazin im Radio, das sich mit Medienthemen beschäftigt.

Die bestehenden Medienmagazine im Radio – wie die gleichnamigen Sendungen etwa bei Radio Eins oder bei B5 aktuell, „Töne Texte Bilder“ bei WDR5 oder „Markt und Medien“ im Deutschlandfunk – leiden vor allem darunter, dass sie nicht so aktuell sind wie sie sein müssten. Und zum Teil im Ein-Mann-Betrieb arbeiten. Am Wochenende können sie nur noch zurückschauen auf Themen, die längst von verschiedenen Seiten aus betrachtet und durchgesprochen worden sind.

Der Deutschlandfunk schafft Abhilfe: Ab dem 20. März beschäftigt sich täglich eine 25-minütige Sendung mit Medien. Sie trägt den beziehungsreichen Titel @ mediasres. Sie will sich nicht nur mit tagesaktuellen Themen beschäftigen, sondern auch auf Hintergründe schauen und sich mit längerfristigen Entwicklungen beschäftigen – täglich zwischen 15.35 und 16 Uhr im Deutschlandfunk und natürlich im Netz.

Ich freue mich, dass ich als Redakteur und Moderator dabei sein kann.

Eine kleine Prosa über Thomas Hitzlsperger in der „Welt“

Es ist bemerkenswert, wie Welt online eine kleine Unterhaltung zwischen zwei Fußballern zu einem großen Artikel aufpumpt. Der Autor Stephan Flor wagt dabei Ausflüge in die Prosa, um aus einem kurzen Moment einen möglichst langen Artikel zu machen.

Und darum geht es: Fußballer Clarence Seedorf fragt seine Kollegen Thomas Hitzlsperger, warum dieser so offen darüber spreche, dass er schwul ist. Anschauen kann man sich das hier:

Das reicht Welt-Autor Flor aber nicht. Zunächst stellt er Hitzlsperger vor, dem er dann lobend bescheinigt:

Hitzlsperger macht aus seiner Homosexualität kein Geheimnis mehr, stellt sie aber auch nicht ins Schaufenster. Wenn es darauf ankommt und es wichtig ist, thematisiert er sie.

In diesem Stil geht es weiter. Immer wieder driftet Flor in Prosa ab, etwa wenn er schreibt:

Der Deutsche lockerte die Stimmung mit einem Spruch auf…

Dann wandte er sich mit einer ernsten Frage an Hitzlsperger.

Hitzlsperger erklärte Seedorf in zwei Minuten in beeindruckender Weise…

…sagte Hitzlsperger in geschliffenem Englisch.

Dann kommt Hitzlsperger zum entscheidenden Punkt, warum er es für so wichtig hält, über seine Homosexualität zu reden.

Hitzlsperger will niemanden mit seinen Aussagen ärgern, schon gar nicht Seedorf.

Die Worte beeindruckten Seedorf.

Es ist eine kleine subjektive Geschichte, die die „Welt“ hier erzählt, keine neutrale Erzählung dessen, was passiert ist. Woher weiß der Autor, was Hitzlsperger will? Wie beeindruckt Seedorf ist? Es sind eine ungewöhnliche Art, die kurze Episode zu erzählen.

Lesezeit laut „Welt“ übrigens: 4 Minuten. Dauer der Episode: rund 2 Minuten.

P.S.: Spiegel online macht vor, wie man das auch etwas sachlicher tun kann.

Journalisten auf der schiefen Bahn – eine kleine Presseschau

Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG hat kein grünes Licht für eine Vertragsverlängerung für Bahnchef Grube gegeben. Das hat in vielen Redaktionen die Weichen gestellt: Vorsicht an der Bahnsteigkante und Bahn frei für einen ganzen Zug an Floskeln.

Spiegel online

(Screenshot: spiegel.de)
(Screenshot: spiegel.de)

Tagesschau um 20 Uhr

„Nun also Bahn frei für die Nachfolgersuche…“

„Die SPD betonte heute, sie wolle auf jeden Fall mitentscheiden, wer künftig die Weichen bei der Bahn stellt.“

Süddeutsche.de

„Am Donnerstagmorgen vergangener Woche liegt Rüdiger Grubes Leben Leben noch voll im Plan.“

„Draußen geht gerade die Sonne auf, drinnen ist Grube nur schwer zu bremsen.“

FAZ.net

(Screenshot: faz.net)
(Screenshot: faz.net)

(Die FAZ reagierte im Übrigens mit dem Artikel „Wie das Netz auf Rücktritt von Bahnchef Rüdiger Grube reagiert“ und spricht von einem „gefundenen Fressen“. Da kannte der Autor aber seine eigenen Kollegen nicht.)

ZEIT online

(Screenshot: zeit.de)
(Screenshot: zeit.de)

Berliner Morgenpost

(Screenshot: morgenpost.de)
(Screenshot: morgenpost.de)

Deutschlandfunk, Kommentar

(Screenshot: deutschlandfunk.de)
(Screenshot: deutschlandfunk.de)

„Auch an der Spitze des Unternehmens Deutsche Bahn gibt es keine reservierten Vertragsverlängerungen und keine ungestörten Betriebsabläufe beim Übergang von einem Chef zum anderen.“

„Hatte er den Bahn-Konzern nach der Ära Hartmut Mehdorn doch wieder auf die Spur gesetzt…“

„…die Verantwortung für die Weichenstellungen der Zukunft“

„Streiterei um die Konzernführung braucht die Bahn aber nicht, sondern einen entschlossenen Lokführer an der Spitze.“

Tagesspiegel

„Grube musste die S-Bahn wieder aufs Gleis stellen…“

Wirtschaftswoche

(Screenshot: wiwo.de)
(Screenshot: wiwo.de)

Handelsblatt

(Screenshot: handelsblatt.com)
(Screenshot: handelsblatt.com)

„Hierzu wird der Staatsanwalt den Inhalt der Presseerklärung vor den Kameras aufsagen“

Pressekonferenzen gehören zum eingespielten Mittel der Wahl im deutschen Medienbetrieb. Dabei stellen sich Politiker und Behörden den Fragen von Journalisten. Üblicherweise beginnt so eine Pressekonferenz mit einem Statement.

In der gestrigen Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Bayreuth zu einer möglichen Beteiligung des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt am Mordfall Peggy leitete der Sprecher dieses Statement mit einer bemerkenswerten Formulierung ein – nachzuhören hier bei SoundCloud.

Tatsächlich sagte der Staatsanwalt dieses Statement danach auf – und beantwortete dann keine Fragen. Das aber wortreich – ebenfalls hier bei SoundCloud.

Hier noch mal die gesamte Pressekonferenz zum Nachhören.

 

Anmerkung (20.05.2018): Wegen der Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und entweder durch Screenshots oder Links ersetzt.

„Die Wortwahl wird immer radikaler“, sagt Volker Kauder, meint aber nicht sich

Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, beklagt sich im Interview mit dem „Spiegel“ über eine zunehmende Verrohung der Sprache. Er sagte unter anderem:

Wir erleben ein erschreckendes Maß von Anfeindungen gegen unsere Demokratie. Mal sind Politiker die Zielscheibe, mal die Medien, aber eben auch zunehmend unser Staat insgesamt. Die Wortwahl wird immer radikaler und schlägt auch in Gewalt um. Das bereitet mir große Sorgen.

Und weiter:

Wir sind noch längst nicht so weit wie in der Weimarer Republik. Aber auch damals haben sich Worte und Taten immer mehr hochgeschaukelt.

Dabei müsste Kauder bei sich selbst anfangen. Der Schriftsteller Roger Willemsen stellt ihm kein gutes Zeugnis aus. Er hat im Jahr 2013 an allen Sitzungen des Bundestags teilgenommen und den Parlamentsbetrieb beobachtet. In einem Interview im Deutschlandradio Kultur erzählte er:

Der schlimmste Flegel ist Volker Kauder, der Dinge reinruft, die nicht mal einen Ordnungsruf bekommen. Und das ist zum Teil schlimm. Der sagt dann: „Führen Sie doch die Blockwarte wieder ein.“ Also, das ist ein übler Assoziationsraum, der auch zum Teil der Ausputzer oder die Blutgrätsche für Merkel macht. Das heißt, der sagt dann auch, „ja, Friedensnobelpreis für Edward Snowden“ und macht sich über einen Mann lustig, den wir alle viel verdanken, weil diese Aufklärung wir niemals ohne ihn bekommen hätten und der sein Leben mehr oder weniger zu einem Teil der Zivilcourage geopfert hat.

Willemsen kritisierte damals nicht nur Kauder als schlimmsten Zwischenrufer des Bundestags, sondern auch die anderen Abgeordneten und vor allem das Präsidium, das nicht gegen solche Ausfälle vorgehe.

Es ist schlimm, dass der Bundestag an bestimmten Stellen, die Inhumanität bestimmter Standpunkte nicht rigider kenntlich macht. Ich finde nicht, dass jemand einen Parlamentarier als einen Blockwart-Rufenden bezeichnen darf, nur weil der sagt, „ich will eine Kontrolle des Abhörens“, und der dann höhnisch reinruft: „Sie sind doch nur böse, weil Gysis Handy nicht abgehört worden ist“ oder so etwas. Also, das ist einfach eine Verachtung gegenüber unseren Bürgerrechten und ich finde das nicht tolerierbar.

Warum fast jeder Erdenbürger einmal mit Bus und Bahn durch Deutschland fuhr

Seilbahn in Köln
Auch ein Verkehrsmitteln mit Fahrgästen, wird aber nicht gezählt: Seilbahn in Köln. (Foto: Stefan Fries)

Es ist ein Wahnsinn. Im ersten Halbjahr war fast die ganze Welt in Deutschland – zumindest für eine kurze Weile. Nämlich, um eines der öffentlichen Verkehrsmittel in Deutschland zu nutzen.

Im ersten Halbjahr 2016 nutzten in Deutschland nach vorläufigen Ergebnissen über 5,7 Milliarden Fahrgäste den Linienverkehr mit Bussen und Bahnen.

Das schreibt das Statistische Bundesamt. Bei einer Weltbevölkerung von mehr als 7 Milliarden Menschen stellt das dem deutschen ÖPNV ein gutes Zeugnis aus, würde ich sagen. Sogar erstaunlich, dass das noch nicht zu eine Überlastung geführt hat. Einige Medien haben die Meldung des Statistischen Bundesamts ausgewertet und formulieren die Sachlage genauso. Erst im zweiten Satz ihrer Pressemitteilung wird das Amt präziser:

Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, bedeutet dies einen Zuwachs des Fahrgastaufkommens um 2,0 % gegenüber dem ersten Halbjahr 2015. Durchschnittlich legte damit im ersten Halbjahr 2016 jeder Einwohner 70 Fahrten zurück, bundesweit waren dies täglich fast 32 Millionen Fahrten.

Es handelt sich also nicht um 5,7 Milliarden Fahrgäste, sondern um 5,7 Milliarden Fahrten – das sind die erwähnten im Schnitt 70 Fahrten pro Bundesbürger. In dieser Dimension ergibt die Zahl wieder Sinn. Dankenswerterweise gibt das Amt noch einen Hinweis zur Methodik der Zählung:

Im Nahverkehr werden Fahrgäste, die während einer Fahrt zwischen den Verkehrsmitteln eines Unternehmens umsteigen, in die Gesamtzahl nur einmal einbezogen, in die nach Verkehrsmitteln untergliederten Angaben jedoch mehrmals. Als Fahrgäste werden Beförderungsfälle erhoben. Fahren im Berichtszeitraum Personen mehrfach, so werden sie auch mehrfach gezählt.

Diese Differenzierung fließt in der Regel nicht in die Berichterstattung mit ein. Wünschenswert wäre es allerdings, um die unvorstellbare Zahl besser einzuordnen.

Das Raunen als Argument

Die öffentliche Diskussion, wie sie in sozialen Netzwerken auftritt, leidet unter einem Paradox (sicher sogar unter mehreren, aber mir geht es um eines): die Unfähigkeit vieler, zu argumentieren. Wie leicht ist eine Meinungsäußerung, ein Medienbericht, eine Meinung kommentiert, die dann aber nicht argumentativ unterfüttert wird. Und auch auf Nachfrage gibt es keine weiteren Erläuterungen.

Ich nenne es das Raunen als Argument.

Beispielhaft zeigte es sich heute morgen. Da gab die Juristin und Publizistin Liane Bednarz dem Deutschlandfunk ein Interview, in dem sie ihre Position ausführlich darlegte. Man muss damit nicht einverstanden sein, aber man kann sich keiner Diskussion stellen, die ohne Argumente daherkommt. So schrieb der Publizist Hugo Müller-Vogg:

Das ist natürlich eine zulässige Meinungsäußerung. Sie sollte aber argumentativ gestützt werden können. Wenn man das Interview liest oder hört, sehe ich jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie Müller-Vogg zu seiner Schlussfolgerung kommt. Bednarz ruft dazu auf, bewusst mit Sprache umzugehen, und sagt etwa auch:

Ich meine, man kann diese Gedanken ja nicht verbieten. Das soll man auch gar nicht. Aber diskutieren heißt auch, dass man es problematisiert, weil es ja nun tatsächlich auch problematisch ist, und Meinungsfreiheit wirkt in alle Richtungen. Das heißt, die Kritik an dieser Entwicklung ist natürlich auch von der Meinungsfreiheit und der Debatte gedeckt. Das vergessen häufig diejenigen, die diese Vokabeln benutzen und sich sofort, wenn sie kritisiert werden, zensiert fühlen zum Beispiel.

Wo da oder an anderen Stellen im Interview die Forderung nach einer Sprachpolizei – mit diesem Begriff verbinde ich Zensur, wie auch der Hashtag #1984 nahelegt – zu finden ist, erschließt sich mir nicht. Auf entsprechende Nachfragen nicht nur von mir hat Müller-Vogg bisher nicht reagiert. Er zeigte sich vielmehr gereizt davon, dass Bednarz selbst sein Geraune thematisierte.

So bleibt nur ein Raunen stehen. Es wurde etwas gesagt, das laut ihrem Urheber offenbar keinerlei Beleg verlangt. Es ist dies eine Methode, wie sie auch von Pegida-Anhängern oder AfD-Politikern verwendet wird: Man stellt eine Behauptung auf, die die Diskussion prägen wird, weist aber deren Plausibilität nicht nach.

Es ist eine Argumentation, die man in sozialen Netzwerken immer wieder findet, und bei deren Hinterfragung man Formulierungen erntet wie „Ist ja wohl klar, was ich meine“, „Wer das nicht sieht, ist blind“, „Das ist so offensichtlich, dazu muss ich nicht mehr sagen“. Tatsächlich entzieht man sich damit aber einer Auseinandersetzung, obwohl man diese selbst begonnen hat. Auf Kritik reagiert man dünnhäutig. Man pocht auf sein Recht, seine Meinung sagen zu dürfen, und erträgt es dann nicht, dass jemand anderes eben jenes Recht auch wahrnimmt, den anderen zu kritisieren.

Der politischen Auseinandersetzung ist nicht gedient, wenn sie nur durch Raunen geführt wird.

Nachtrag, 22.09., 13.40 Uhr: Mittlerweile hat Hugo Müller-Vogg geantwortet, allerdings nicht auf die von mir gestellte Frage.

Womit er meiner Argumentation einen weiteren Beleg geliefert hat. Danke dafür.

Nachtrag, 26.09., 12.45 Uhr: Das Raunen als Argument hat bei Müller-Vogg offenbar Methode. Mehrere Tweets, die sich auf die Seximusvorwürfe der Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends beziehen, erheben sehr diffuse Vorwürfe, ohne dass zu erkennen ist, was Müller-Vogg damit meint. Er zweifelt ihre Glaubwürdigkeit an, ohne ein Argument zu liefern, wieso er das tut.

Man würde gerne über die Sachlage diskutieren – aber Müller-Vogg zieht es vor, keine Argumente zu liefern. Das scheint seiner Sache mehr zu dienen. Für einen Journalisten keine Glanzleistung.

Wie sich Volker Herres von seinen Presseclub-Gästen distanziert

Wenn Volker Herres den Presseclub im Ersten moderiert, kündigt er seine Gesprächspartner mit durchaus merkwürdigen Worten an. Er sagt dann in der Regel:

„Ich freue mich auf meine Gäste und darf Ihnen meine Gesprächspartner vorstellen.“

Das klingt so, als seien das zwei verschiedene Gruppen. Kann das jemand erklären? Herres selbst antwortete einst in einem Tweet, er sehe darin kein Problem.

Ein Hoeneß muss nicht gewählt werden

Gut, gut, offenbar gibt es wenige Zweifel daran, dass Uli Hoeneß demnächst wieder Präsident des FC Bayern München sein wird. Allerdings haben sich manche Journalisten heute dermaßen überschlagen, dass ganz durcheinander ging, wie das eigentlich ablaufen soll. Kandidatur? Wahl? Offenbar nicht nötig.

So war sich die Sportschau etwa schon sehr sicher, dass Hoeneß zurückkehrt – laut Tweet und Überschrift des Artikels in jedem Fall. Sogar der ersten Satz im Text lautete „Honeß wird sich (…) wählen lassen.“ Das ist kühn. Auch MDR Aktuell formulierte das so, als sei Hoeneß soeben gewählt worden.

ZDF heute schrieb zwar zuerst richtig, dass Hoeneß kandidiere, rutschte dann aber später wieder teilweise in den Indikativ ab.

Während die Süddeutsche Zeitung sich zumindest sprachlich ein wenig distanzierte.

Vielleicht haben sich einige Journalisten auch zu sehr auf die Formulierung der Nachrichtenagentur SID verlassen. Der Sport-Informationsdienst etwa meldete die Kandidatur ebenfalls als praktisch unnötig.

SIDSehr schön hat die ganze Geschichte SPIEGEL online zusammengefasst.

Am Ende gilt aber in jedem Fall:

Sandra Schulz ist nicht Malu Dreyer, auch wenn Julia Klöckner das so vorkommt

Die CDU-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag hat heute versucht, Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) mit eine Misstrauensantrag aus dem Amt zu heben. Gelungen ist ihr das nicht. Am Morgen vor der Entscheidung hat CDU-Fraktionschefin Julia Klöckner dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben.

Die Fragen von Moderatorin Sandra Schulz sind ein gutes Beispiel dafür, mit welcher Haltung Journalisten ein solches Meinungsinterview führen sollten. Klöckner legt diese Methode sogar zweimal indirekt offen, indem sie Schulz im Ton der Empörung darauf anspricht:

„Denn die Geschichte, die Sie jetzt erzählen, ist die Lesart der Landesregierung.“

„Das ist auch wieder die Lesart der Landesregierung, der Ampelkoalition.“

Und auf eine weitere Frage sagt Klöckner empört:

„Also Frau Schulz! Jetzt muss ich mal ganz kurz einhaken. Sie verwechseln gerade Täter und Opfer.“

Und dann ruft sie als Auftakt zu einer Antwort:

„Ja, einen Moment!“

Durch Julia Klöckners Reaktion wird deutlich, dass Sandra Schulz genau die richtigen Fragen stellt. Sie lässt Klöckner nämlich auf Positionen reagieren, die deren Meinung konträr gegenübersteht. Da Klöckner sich gegen die Landesregierung stellt, ist diese Position zu Teilen deckungsgleich mit deren Haltung. Damit gibt Schulz Klöckner die Gelegenheit, ihre Position genau abzugrenzen und klar darzustellen.

Einige Hörer unterstellen Journalisten, die ein Interview führen, gerne mal, dass diese unzulässige, unverschämte oder „nicht neutrale“ Fragen stellen. Das ist jedoch nicht die Aufgabe eines Interviewers. Er soll stattdessen in einem Interview wie dem mit Klöckner den Hörern deren Meinung kenntlich machen. Das gelingt umso leichter, je klarer – und in gewisser Weise auch provokanter – die Fragen sind. Sandra Schulz hat das hier in vorbildlicher Weise getan.

Nachtrag, 17.20 Uhr: Offenbar findet Sandra Schulz‘ Moderations- und Interviewstil glücklicherweise auch Anhänger, die ihre Art nicht missverstehen.

Offenlegung: Ich arbeite regelmäßig als freier Mitarbeiter für den Deutschlandfunk.