Nach Kritik an ttt-Moderator Thilo Mischke: ARD sagt journalistische Aufarbeitung ab

An der Berufung von Thilo Mischke als ttt-Moderator gab es zum Jahreswechsel viel Kritik. Nach zwei Wochen öffentlichen Drucks trennte sich die ARD von Mischke und kündigte an, die Vorgänge journalistisch aufzuarbeiten. Doch jetzt verzichtet sie darauf, sagte mir MDR-Kulturchefin Jana Cebulla im Deutschlandfunk. Man wolle nicht, dass allen Beteiligten noch mal geschadet wird.

Bild: ARD/Marc Rehbeck

Dlf:  Sechs Monate ist der Fall Thilo Mischke jetzt her. Der preisgekrönte Investigativjournalist sollte neuer Moderator des Kulturmagazins „Titel, Thesen, Temperamente“ im Ersten werden. Dann gab es Sexismusvorwürfe gegen ihn. Nach öffentlichem Druck verzichtete die ARD zwei Wochen später auf Mischke als Moderator. Die ARD teilte mit, die Diskussion habe dem Ansehen der ARD geschadet. Jetzt haben die Intendantinnen und Intendanten entschieden, neue Strukturen zu schaffen, damit so was nicht noch mal passieren kann. Sie bündeln die Verantwortung für ttt beim Mitteldeutschen Rundfunk und bei seiner Kulturchefin Jana Cebulla. Frau Cebulla, was bedeutet das, dass Sie jetzt die Federführung übernehmen?

Jana Cebulla: Die Federführung bedeutet, dass wir Prozesse besser bündeln. Wir haben ja sechs ARD-Anstalten, die an ttt beteiligt sind und das auch schon viele Jahre. Aber es hat sich gezeigt, dass es gut ist, wenn einer ein bisschen das Heft in die Hand nimmt und das betrifft natürlich die Kommunikation, aber es betrifft auch das Gestalten der Marke. Weil, wir müssen uns in Zukunft ja auch ein Stück weit aufstellen. Wir wissen, dass sich das Mediennutzungsverhalten ändert und wir wollen die Marke ttt liebevoll auch für andere Zielgruppen verlängern. Und diesen Prozess zu gestalten, das ist eine der Aufgaben, die die Federführung innehat, genauso wie das Thema Kommunikation.

Dlf: Dazu muss man sagen, „titel, thesen, temperamente“ wird von sechs Redaktionen in sechs ARD-Anstalten gemacht. Das heißt, jede Sendung kommt von einer unterschiedlichen Anstalt, tritt aber unter derselben Marke auf. Sie sagen jetzt selber, dass auch die Kommunikation gebündelt werden soll. In der Diskussion Anfang des Jahres gab es ja kaum Beteiligung der ARD. Und nach zwei Wochen Klagen von der Programmdirektorin Christine Strobl, dass man die Diskussion gar nicht richtig führen könnte. Stellen Sie sich künftig so einer Diskussion?

Jana Cebulla: Das wäre dann meine Aufgabe, gemeinsam mit der MDR-Kommunikation und darum ging es ja auch. Ich stolpere ein bisschen über dieses, es wurde gar nicht kommuniziert, weil das entspricht überhaupt nicht meinem Leben…

Dlf: …es gab Statements, aber es gab keinen Austausch von Argumenten.

Jana Cebulla: Es gab keinen Austausch von Argumenten und das ist auch ein Fehler, der passiert ist. Grundsätzlich kann man sagen, dass in der Zeit um Weihnachten und Neujahr wir viel kommuniziert haben in der ARD. Nur am Ende gab es eben diese eine Verantwortung, die gefehlt hat, zu sagen, da gehe ich jetzt raus. Und aus diesen Fehlern hat die ARD gelernt und hat gesagt, das müssen wir künftig besser aufstellen, denn das schadet dem Ansehen aller Beteiligten und das wollen wir nicht. Und deswegen haben wir ganz klar eine Federführung aufgesetzt. Die Intendantinnen und Intendanten haben gesagt, wir wollen das. Und der MDR hat sich hier angeboten und übernimmt das auch gern.

„Wir arbeiten es nicht journalistisch auf, weil einfach nicht klar ist, wie das ausgehen kann“

Dlf: Sie sprechen die Fehler schon an. In einem ARD-Statement im April, wo Sie das jetzt angekündigt haben, was jetzt entschieden wurde, heißt es, es seien Fehler passiert, die nicht hätten passieren dürfen. Wer hat welche Fehler gemacht?

Jana Cebulla: Am Ende sind es sechs beteiligte ARD-Anstalten und wer welchen Fehler gemacht hat, das ist wirklich schwer zu sagen. Am Ende war es leider die Situation, die dazu geführt hat, dass es so ausgegangen ist, wie es ausgegangen ist. Dieses Thema, wer kommuniziert an welcher Stelle, war natürlich mit Schwierigkeiten behaftet. Und so wirkte es, als würden wir uns wegducken, was wir aber nicht getan haben. Und wir haben das Thema aufgearbeitet in einem Bericht und haben daraus die Konsequenzen gezogen. Diese eine Person, sehen Sie es mir nach, die ist nicht zu benennen und das wird es auch nicht geben.

Dlf: Es muss ja nicht eine Person sein, aber vielleicht können Sie mehrere Personen benennen.

Jana Cebulla: Auch das nicht. Es ist ja eine gemeinschaftliche Entscheidung gewesen und das ist auch eben in der föderalen ARD so. Am Ende wollen wir uns gemeinschaftlich einer Sache widmen und dann müssen wir auch gemeinschaftlich kommunizieren. Und da hakte es an dieser Stelle zu sagen: Okay, was heißt denn diese gemeinschaftliche Kommunikation, wer geht denn jetzt nach vorne? Und diese, etwas ungenaue Verantwortung hat dazu geführt, dass es eben zu lange gedauert hat und das war ein großer Fehler und der wird in Zukunft nicht mehr passieren.

Dlf: Als Konsequenz hatte die ARD im Januar auch angekündigt, den Fall journalistisch aufzuarbeiten. Gibt es diese Aufarbeitung? Öffentlich?

Jana Cebulla: Wir haben das lange diskutiert. Also ich kann Ihnen vielleicht mal einen kurzen Einblick in den Prozess geben, den ich jetzt gestalte als MDR-Federführung. Wir haben uns zusammengesetzt in einem Workshop mit den Redaktionen und den beteiligten Redakteurinnen und Redakteuren und haben genau diese Frage diskutiert: Was wollen wir an dieser Stelle journalistisch aufarbeiten? Und wir haben uns gefragt, können wir an dieser Stelle etwas journalistisch aufarbeiten, ohne dass alle Beteiligten am Ende nicht noch mehr wieder im Schussfeld stehen oder vielleicht falsch dargestellt werden? Und deswegen haben wir uns entschieden, an dieser Stelle, heute, erstmal zu sagen, wir arbeiten es nicht weiter journalistisch auf, weil einfach nicht klar ist, wie das ausgehen kann.

ARD will Mitte 2026 neuen Moderator verkünden

Dlf: Das wurde damals angekündigt, damals beim ARD-Vorsitzenden Florian Hager auch nochmal nachgefragt, wie der Stand der Dinge ist vor ein paar Monaten, das heißt, daraus wird jetzt gar nichts. Das haben Sie bisher nicht so verkündet.

Jana Cebulla: Genau. Also jetzt sind ja sechs Monate seitdem vergangen, und natürlich, mit Abstand betrachtet, schaut man da drauf. Der erste Impuls ist natürlich zu sagen, wir von ttt sind Journalistinnen und Journalisten. Und es liegt ja nahe zu sagen: Können wir das journalistisch aufarbeiten? Und die Idee war auch da. Nur wenn man jetzt sechs Monate auf die vergangene Zeit zurückschaut, muss man sich fragen, an welcher Stelle ergibt etwas Sinn. Und was wir nicht wollen, ist, dass nochmal allen Beteiligten geschadet wird. Und deswegen sind wir an diesem Punkt so, dass wir sagen: Heute gibt es keine journalistische Aufarbeitung. Wenn wir eine Idee haben, etwas zu tun, dann würden wir darauf zurückkommen.

Dlf: Also Transparenz schadet.

Jana Cebulla: Transparenz schadet, inwiefern?

Dlf: Ja, wenn Sie sagen, Sie wollen nicht, dass nochmal alles diskutiert wird. Aber Transparenz über die Vorgänge damals könnte ja auch Vertrauen schaffen.

Jana Cebulla: Nein, das glaube ich eben nicht, weil es ist auch wirklich ein sehr, sehr interner Prozess, der da schiefgelaufen ist. Und an dieser Stelle würde man tatsächlich wieder etwas aufmachen, wo wir sagen, wir schauen jetzt nach vorne. Und das ist in diesem Fall keine fehlende Transparenz, sondern eine Weitsichtigkeit, zu sagen, wie gehen wir jetzt mit der Marke ttt weiter um?

Dlf: Angekündigt waren auch verbindliche Kriterien für Casting-Prozesse für ARD-Sendungen. Wie sehen die in Zukunft aus?

Jana Cebulla: Da sind wir gerade im Prozess tatsächlich. Also wichtig ist zu wissen, dass wir mit Siham El-Maimouni eine sehr, sehr gute Moderatorin haben, mit der wir in der Vergangenheit sehr happy waren und auch jetzt sehr happy sind. Aber natürlich ist es so, dass auch Siham El-Maimouni eine gut gebuchte Moderatorin ist. Und wir müssen uns fragen, wer kann mindestens im Vertretungsfall dann dort die Sendung übernehmen. Und ja, es ist ein Prozess, den wir jetzt gestartet haben. Gestern haben die Intendantinnen und Intendanten die Verwaltungsvereinbarung final unterschrieben. Wir haben verschiedene Gruppen gegründet, wo eine Gruppe sich auch „Casting“ nennt. Und wir werden jetzt diese verbindlichen Kriterien finden. Und wir nehmen uns schon ein bisschen Zeit für den Prozess, denn was nicht passieren darf, ist, dass es wieder so ausgeht, wie es ausgegangen ist. Das wollen wir definitiv verhindern. Und deswegen werden wir voraussichtlich Mitte 2026 eine neue Moderatorin oder einen neuen Moderator verkünden.

Dlf: Aber wir wissen noch nicht, wie der gefunden wird.

Jana Cebulla: Nein, das wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass wir unser Anforderungsprofil ein Stück weit ergänzt haben zu dem, was wir damals schon hatten, und haben es nochmal ergänzt um das Thema journalistische Expertise und Glaubwürdigkeit im Kulturbetrieb, denn das war ja etwas, was sozusagen auch wichtig war in der Rückschau und wie es auch öffentlich diskutiert wurde.

„Das möchten wir nicht nochmal“

Dlf: Also es war ein Vorwurf gegen Thilo Mischke, er sei kein Kulturjournalist und hätte einen unterkomplexen Kulturbegriff, das hat er selber ja auch so formuliert, das war damals der Vorwurf. Das wollen Sie nicht nochmal?

Jana Cebulla: Das möchten wir nicht nochmal.

Dlf: Die F.A.Z. hat damals im Januar berichtet, dass Thilo Mischke das Casting eigentlich gar nicht gewonnen hatte. Bei den Redaktionen soll ein Konkurrent vorne gelegen haben mit vier zu zwei Stimmen und trotzdem haben sich dann die Kulturchefs für Mischke entschieden. Sie auch?

Jana Cebulla: Am Ende ist es eine konsensuale Entscheidung und ich war Teil des Ganzen, das muss man sagen. Und gerade weil es eben keinen Kandidaten gab, der hervorgestochen hat, wurde eine Zuschauerbefragung gemacht. Es wurde also ein Nutzer-Testing gemacht. Und in diesem Nutzer-Testing punktete Thilo Mischke eben in Sachen Vertrauen und Glaubwürdigkeit und punktete ein bisschen besser in diesen Punkten – und nicht im Thema Kultur, das ist im Nachgang vielleicht nicht die richtige Entscheidung gewesen – punktete er besser. Und am Ende haben die Kulturchefs und Kulturchefinnen der ARD gesagt, dann trauen wir dem Zuschauervoting oder dem Zuschauertest und gehen mit Thilo Mischke ins Rennen.

Dlf: Machen Sie das künftig auch? Zuschauertests?

Jana Cebulla: Ja, das tun wir auch. Aber vielleicht bewerten wir es dann anders.

Anmerkung: In der Transkription des Interviews sind einige sinnwahrende Glättungen vorgenommen worden, um es lesbar zu machen.