„Spiegel“ verwechselt Opfer und Täter bei Fahrradunfall

Der Rennradfahrer Remco Evenepoel ist von einem Autofahrer verletzt worden. Evenepoel war im Training, als der Fahrer eines Postautos die Tür öffnete, gegen die er dann krachte.

Damit ist zumindest den vorliegenden Berichten zufolge klar, wer Täter und wer Opfer war. Der Spiegel beschreibt den Sachverhalt allerdings anders. Dort steht im Teaser des Beitrags:

Er konnte wohl der Schwingtür eines Postautos nicht mehr ausweichen und kam zu Fall: Rad-Superstar Remco Evenepoel liegt nach einem Trainingsunfall im Krankenhaus.

Er konnte wohl der Schwingtür eines Postautos nicht mehr ausweichen und kam zu Fall: Rad-Superstar Remco Evenepoel liegt nach einem Trainingsunfall im Krankenhaus. Sein Teamchef beschwert sich über rücksichtslose Autofahrer.

DER SPIEGEL (@spiegel.de) 2024-12-03T15:51:08Z

Das aber kehrt Täter und Opfer um. Evenepoel ist nicht gefallen, weil er nicht in der Lage, unfähig  oder zu doof war, der Tür auszuweichen, sondern weil der Autofahrer diese erst geöffnet hat, als Ausweichen (oder Bremsen) unmöglich war.

Leider beschreiben Medien ebenso wie Polizeidienststellen, von denen sie die Informationen oft auch im Wortlaut übernehmen, Unfälle mit Radfahrern – gleich ob Profis oder Pendlern – oft in dieser Art und Weise. Weil sie den Verkehr aus der Perspektive des Autofahrers betrachten. Man sieht das auch an weiteren Formulierungen wie etwa der Überschrift im Spiegel:

Doppelolympiasieger Evenepoel kollidiert auf Rennrad mit Postauto

Dort kollidiert ein Mensch mit einem Gegenstand – nicht das Fahrrad mit dem Auto, nicht der Radfahrer mit dem Autofahrer, sondern der Radfahrer mit dem Auto. Im gesamten Artikel wird der Autofahrer kein einziges Mal erwähnt – namentlich natürlich ohnehin nicht, aber nicht mal als Verursacher. Stattdessen findet man eine Formulierung wie

Der Radprofi habe der Schwingtür des Fahrzeugs nicht mehr ausweichen können…

Als habe die Schwingtür einen eigenen Willen und sich einfach so geöffnet.

Das hat leider Methode. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) kritisiert schon seit Jahren, dass nicht nur Medien, sondern auch die Polizei die Unfallverursacher unsichtbar mache.

ADFC-Pressesprecherin Stephanie Krone sagte:

„Unfallberichte der Polizei lesen sich häufig so, als ob auf den Straßen lauter unbemannte Kraftfahrzeuge unterwegs seien, die schicksalhaft Menschen auf Rädern gefährden. In Blaulicht-Meldungen heißt es dann, ein Auto habe eine Radfahrerin ‚erfasst‘. Ein Junge ‚geriet‘ unter einen Lkw. Oder: Ein Radfahrer wurde von einem Auto ‚aufgeladen‘ und zu Boden geschleudert. Dabei sitzt am Steuer eine Person, die laut Straßenverkehrsordnung ihr Fahrzeug so führen muss, dass niemand anderes gefährdet wird. Wer so schreibt, als wäre das Kraftfahrzeug das handelnde Subjekt, verschont die Person im Auto vor dem Blick des Lesers – und damit vor der Schuldfrage. Unser Appell: Benennen Sie nicht nur, was die Person auf dem Rad tut oder erleidet, sondern benennen Sie die Autofahrerin oder den Lastwagenfahrer – und beschreiben Sie in Aktivsätzen ihr Verhalten vor und während der Kollision!“

Auch das Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres, für das ich arbeite, hat darüber berichtet.

Gerade Medien, die sich einen umstrittenen Slogan wie „Sagen, was ist“ geben, müssen darauf achten, dass sie das dann auch tun. Hier aber wurde verschwiegen, was ist – zulasten des Opfers, zugunsten des Täters.

Diese Formulierung des @spiegel.de sucht die Schuld beim Opfer. Er konnte nicht ausweichen? Er musste auch nicht ausweichen. Der Autofahrer hat verdammt nochmal die Tür nicht zu öffnen. Das Framing zugunsten von Autofahrern ist leider in Medien weit verbreitet.

Stefan Fries (@stefanfries.bsky.social) 2024-12-03T16:24:50.945Z