Welt online feiert unbegründet „Jahrestief“ der Union

Und schon wieder sind Journalisten leichtsinnig mit den Ergebnissen einer Umfrage umgegangen. In diesem Fall offenbar Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters, deren Meldung Welt online übernommen und nur leicht redaktionell bearbeitet hat. Die mangelnde Aussagekraft dieser Bewegung, die in der Überschrift steht, kann dadurch aber auch nicht wettgemacht werden. Dort heißt es:

Union sinkt in Wählerumfrage auf Jahrestief

Tatsächlich heißt es im Text:

Im „Sonntagstrend“,den das Meinungsforschungsinstitut Emnid  wöchentlich für die Zeitung „Bild am Sonntag“ erhebt, verlieren CDU/CSU einen Prozentpunkt auf 32 Prozent.

Dieser eine Prozentpunkt ist Anlass für die Überschrift. Das Problem ist, dass dieser eine Prozentpunkt so präzise gar nicht messbar ist.

Umfragen kommen immer mit einer gewissen Unschärfe daher. Die Werte liegen also nicht fest, sondern geben die Mitte einer Schwankungsbreite an. Bei etwa 30 Prozent liegt sie bei rund 2,5 Prozentpunkten. Das heißt, wir reden nicht von 32 Prozent, sondern von einem Bereich zwischen 29,5 und 34,5 Prozent.

Und auch die werden nur mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit erreicht. Das heißt: Würde die Umfrage 20-mal unter denselben Bedingungen durchgeführt, könnte die Abweichungen in einem Fall sogar größer sein. (Mal davon abgesehen, dass dieselben Bedingungen nicht reproduzierbar sind, denn jeder Befragte würde bei jeder weiteren Umfrage zu einem anderen Zeitpunkt, in anderen Umständen, mit womöglich anderem Wissen und einer anderen Meinung angetroffen werden).

Wenn der ermittelte Wert also beim letzten Mal bei 33 Prozent lag und dieses Mal bei 32 Prozent, hätte er beim letzten Mal auch bei 30,5 Prozent liegen können und dieses Mal bei 34,5 Prozent. Dann wäre das sogar eine Verbesserung und alles andere als ein „Jahrestief“. Oder im umgekehrten Extrem lag er beim letzten Mal bei 35,5 Prozent und dieses Mal bei 29,5 Prozent. Dann wäre das eine wirkliche Verschlechterung gewesen.

Messen kann man die aber nicht, deswegen ist jede Schlagzeile wie die von Welt online, die Rekordwerte suggeriert, nicht ausreichend von Fakten gedeckt.

Die Meldung stellt darüber hinaus noch unzulässig einen Zusammenhang her, den es nicht gibt. So heißt es:

Nach der Wahl von Andrea Nahles zur neuen Parteichefin verharrt die SPD bei 18 Prozent.

Das klingt so, als sei Nahles zum Zeitpunkt der Befragung bereits SPD-Chefin gewesen. War sie aber nur bei einem Teil der Befragten, denn weiter heißt es im Text:

Befragt wurden den Angaben zufolge zwischen dem 19. und 25. April 2350 repräsentativ ausgewählte Personen.

Gewählt wurde Nahles aber erst am 22. April. Wer also vorher befragt wurde, konnte nicht auf die Wahl reagieren – wer danach befragt wurde, schon.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Gericht stärkt Auskunftsansprüche von Bürgern

Das Portal „Abgeordnetenwatch“ wollte Akten der Bundestagsverwaltung einsehen, um die Kontrolle der Parteifinanzen in den Blick zu nehmen. Doch der Bundestag verweigerte die Herausgabe. Nun hat ein Gericht in dem Fall entschieden – und die Auskunftsansprüche von Bürgern und Medien gestärkt. Darüber habe ich in @mediasres im Deutschlandfunk mit meinem Kollegen Philip Banse gesprochen.

Urteile gegen Journalisten: Mesale Tolu muss in der Türkei bleiben

Vor vier Monaten kam Mesale Tolu aus türkischer Untersuchungshaft frei – das Land verlassen darf sie jedoch immer noch nicht. Ein Gericht hat die Ausreisesperre gegen die junge Mutter verlängert. Die Urteile gegen „Cumhuriyet“-Mitarbeiter lösten massive Kritik aus. Darüber habe ich für @mediasres im Deutschlandfunk mit der ARD-Korrespondentin Karin Senz in Istanbul gesprochen.

Heiterkeit im Hohen Hause: Welche Rolle das Lachen im Bundestag spielt

Die Süddeutsche Zeitung hat sich mit der AfD im Bundestag beschäftigt. Sie hat Zwischenrufe gezählt und bewertet und hat sich auch das Lachen der Abgeordneten angesehen – nicht nur das der AfD-Abgeordneten, sondern das aller. Wer lacht über wen und warum?

Dieser Frage, die nur einen Teil der Recherche ausmacht, bin ich schon vor zweieinhalb Jahren mal ausführlicher nachgegangen. Für SWR2 habe ich das Feature „Heiterkeit im Hohen Hause – Das Lachen in der Politik“ produziert.

Mein liebster Gesprächspartner dabei war Roger Willemsen, der sich im Jahr 2013 alle Bundestagssitzungen angeschaut hat und deshalb gut beurteilen konnte, welche Rolle das Lachen im Bundestag spielt. Er hat verschiedene Arten des Lachens erkannt und beurteilt. So sagte er zum Beispiel:

Wenn Volker Kauder am Pult steht und er muss beantworten, was die NSA alles abgehört hat nach den Edward-Snowden-Enthüllungen, und dann möchte ein Linksabgeordneter sagen, dass er hoch empört ist über das, was passiert, und dann antwortet Kauder: weil dem Gregor seins abgehört wird, und alles lacht. So mit den Rechten des Volkes umzugehen, das sich geschützt wissen will vor den Abhörinitiativen der Amerikaner, beweist eigentlich, dass man Schießübungen im Pantheon der Menschenrechte vornimmt, indem man mit solchen Rechten, solchen berechtigten Ansprüchen lachhaft umgeht, sie verlächerlicht, sie dem Lachen preisgibt, und dieses Lachen bliebe mir im Halse stecken.

Ich erkenne also Herrn Kauder in seinem Lachen in dem Augenblick besser als in seiner Rhetorik, und insofern muss ich das, was Sprache ist im Bundestag, weit über das, was gesagt wird, hinaus verlängern, und muss gucken: Welche Fraktionszugehörigkeit hat ein Applaus? Welche Vereinzelung haben bestimmte Applausgebärden? Was bedeutet ein Zwischenruf? Was bedeutet ein höhnisches Gelächter, ein Abwinken usf.

Grundsätzlich hat Willemsen damals beobachtet:

Das Lachen wird eingesetzt, um die Empörung des Gegenübers der Nichtigkeit zu überführen. Um zu sagen: Du beeindruckst mich nicht, deine Empörung bedeutet mir gar nichts. (…)

Es wird Humor im Bundestag auch eingesetzt als Zusatzstoff, sei es, um die Kollegen zu verlächerlichen, sei es, um Unterhalterqualitäten zu beweisen, und es gibt auch Reden, die fast nur noch von Humor zusammengehalten werden, wie zum Beispiel die Rede des Alterspräsidenten zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode.

Das Schönste am Feature sind aber die vielen O-Töne aus sechs Jahrzehnten Bundestag, die ich habe finden können. Mit Franz Josef Strauß, Helmut Kohl, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Norbert Lammert, Gregor Gysi und vielen anderen.

„Die Welt“ nutzt Expertise von ARD-Experten, an deren Unabhängigkeit sie zweifelt

Es ist eine berechtigte Frage, die „Die Welt“ da heute stellt:

Die ARD hat ihre Experten für die Weltmeisterschaft in Russland vorgestellt. Drei von ihnen stehen auch beim Deutschen Fußball-Bund in Lohn und Brot. Können die wirklich objektiv sein?

Gemeint sind Philipp Lahm, Thomas Hitzlsperger und Stefan Kuntz, an deren unabhängigem Urteil zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft Lars Wallrodt zweifelt:

Natürlich werden die drei nach bestem Wissen und Gewissen trennen zwischen ihren Verbandsverpflichtungen und ihrer Expertenexpertise. Doch die Frage muss schon gestattet sein, ob die drei tatsächlich mit der gebotenen Unabhängigkeit urteilen können – insbesondere, wenn es hart auf hart kommt und das deutsche Team wider Erwarten nicht brillieren sollte in Russland.

Andererseits ist sich „Die Welt“ aber auch nicht zu schade, die Expertise von zweien der drei zu nutzen. In einem Video auf der Seite  (gedreht vom Sport-Informations-Dienst SID) werden sie befragt.

Und was sagen sie so? Stefan Kuntz zum Beispiel:

Wir bekommen jetzt mit, wie akribisch das Team sich schon – nicht erst seit ein paar Monaten – schon über längere Zeit drauf vorbereitet; das ist schon beeindruckend. Insofern hab ich ein super Gefühl bei der deutschen Mannschaft

Total kritisch. Aber wenn es auf welt.de passiert statt in der ARD, ist das wohl okay.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Freie bei den Öffentlich-Rechtlichen: Versteckte Opfer des Spardrucks

ARD, ZDF und das Deutschlandradio müssen neue Sparvorschläge machen. Die Ministerpräsidenten wollen den Rundfunkbeitrag möglichst nicht oder nur gering anheben. Sollte der Spardruck steigen, könnten vor allem die freien Mitarbeiter der Sender darunter leiden. Darüber berichte ich heute bei @mediasres im Deutschlandfunk.

Intendant von Radio Bremen wirft Verlagen Propaganda vor

Der Intendant von Radio Bremen, Jan Metzger, hat Verlagen vorgeworfen, ihre Zeitungen propagandistisch gegen die öffentlich-rechtlichen Sender zu nutzen. Bei einem Kongress freier Rundfunkmitarbeiter in Bremen sagte er, was auf deren Medienseiten passiere, habe streckenweise nichts mehr mit Journalismus zu tun, sondern sei Verlagspropaganda.

Metzger räumte ein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender nicht gut darin seien, offensiv für sich zu werben – vor allem in den eigenen Prorgammen. „Versuchen Sie mal, auch nur eine bedeutende Unternehmensnachricht in der Tagesschau unterzubringen, da scheitern Sie am orthodoxen Verständnis der Kolleginnen und Kollegen, was den Nachrichtenwert von solchen Dingen angeht“, sagte Metzger. So wie die Verlage wolle man aber auch nicht arbeiten. „Wir haben nicht dieselbe propagandistische Power und Skrupellosigkeit, die die Verleger haben.“

Das Zitat im Wortlaut:

„Wir sind in der Selbstdarstellung nicht besonders gut, um es freundlich zu sagen. Wir sind gerade dabei, uns ein bisschen zusammenzuraufen, mal über uns selbst zu reden, aber versuchen Sie mal, auch nur eine bedeutende Unternehmensnachricht in der Tagesschau unterzubringen, da scheitern Sie am orthodoxen Verständnis der Kolleginnen und Kollegen, was den Nachrichtenwert von solchen Dingen angeht, also beschränkt sich die Sache am Ende auf Zapp.

Wir haben nicht dieselben Plattformen wie die Zeitungsverleger, die diese in der Tat propagandistisch nutzen. Das ist eine meiner größten Auseinandersetzungen auch mit befreundeten Kollegen in Zeitungsverlagen, dass ich der Ansicht bin, dass, was auf den Medienseiten passiert, streckenweise mit Journalismus nichts mehr zu tun hat, sondern das ist Verlagspropaganda. Da kann man sich toll drüber fetzen. Aber erstens wollen wir so nicht arbeiten, und zweitens können wir so nicht arbeiten.

Das, was wir gerade noch hinkriegen, das ist das, was Herr Wilhelm (Intendant des Bayerischen Rundfunks und ARD-Vorsitzender, SF) im Moment macht, zu sagen: Leute, die Teuerung ist so, und unsere Mehreinnahmen sind anders, und deswegen: Wir schrumpfen schon die ganze Zeit. Ich meine, wir in Bremen können seit 15 Jahren da ein Lied von singen, andere haben das Sparen gerade erst kürzlich entdeckt und jammern umso mehr. Das hört man schon, aber wir haben nicht dieselbe propagandistische Power und Skrupellosigkeit, die die Verleger haben. Das geht uns ab.

Wir werden jetzt im Sommer ne Public-Value-Kampagne machen, das kommt bei uns immer so vornehm daher, und ist der Versuch, dem was entgegenzusetzen. Ich würde mir auch manchmal wünschen, dass das anders wäre, aber Holzen im eigenen Interesse gehört nicht zu unseren großen Fähigkeiten.“

Den Interviewpartner hörbar ins Schwitzen gebracht – die Vorzüge eines Radiointerviews

Das Radio lebt vom gesprochenen Wort. Vor allem ist es lebendig – oft lebendiger als Gedrucktes, weil hier Menschen direkt miteinander sprechen und nicht nur rüberkommt, was sie sagen, sondern auch, wie.

Gestern konnte man gut beobachten, was der Unterschied ist, weil da gleich zwei Interviews mit demselben Interviewpartner veröffentlicht wurden. Das eine bei @mediasres im Deutschlandfunk, für das ich auch arbeite, das andere bei Übermedien. In beiden Fällen wurde Bernhard Holfeld befragt, der Programmdirektor von MDR Sachsen. Es ging um die als rassistisch kritisierte Ankündigung einer Gesprächssendung im MDR-Radio, die Holfeld teilweise verteidigte.

Als ich mir das Übermedien-Interview durchgelesen habe, habe ich einen relativ aufgeräumten Programmdirektor wahrgenommen. Er hat sich zwar gewunden, sich klar von dem Text und der Intention der Sendung zu distanzieren, aber auch durch wiederholte Nachfragen scheint er nicht aus der Ruhe gebracht worden zu sein. Das lag aber offenbar vor allem an der Textform, die fast alles ausblendet, was so ein Gespräch noch so mit sich bringt: Zögern, längere Pausen, eine unsichere Stimme, Ähms, abgebrochene Sätze, ungeschickte Formulierungen usw.

Das ist der immanente Nachteil solcher Interviews, die später nur im Wortlaut wiedergegeben werden (gedruckt bzw. online). Im schriftlichen Text kommen alle die genannten Elemente (u.a. Prosodie) nicht rüber oder können nur unzureichend wiedergegeben werden. Der fragende Journalist kann zwar „lacht“ reinschreiben, aber so etwas wie „lacht unsicher“, „zögert länger“ oder „Stimme zittert“ beruht auf der eigenen Wahrnehmung und Interpretation und kann daher nicht als so zuverlässig richtig notiert werden wie das, was gesagt worden ist.

Das kann man beim Hörfunkinterview aber glücklicherweise dem Zuhörer überlassen. Dieser erlebt Bernhard Holfeld im Deutschlandfunk-Interview möglicherweise anders. Um von mir zu sprechen: Ich höre ihn anfangs im Hintergrund rascheln, was ich als Nervosität oder Unruhe interpretiere. Ich höre, wie er immer wieder „Ähm“ sagt – nicht nur bei seinen Antworten, sondern auch während ihm Fragen gestellt werden. Ich höre, wie er versucht auszuweichen, woraufhin Moderator Sebastian Wellendorf immer wieder nachfasst. Ich höre, wie Holfeld Sätze neu beginnt, die er zunächst anders formulieren wollte. Wie er langsamer spricht, weil er offensichtlich nach Worten sucht. Wie ihn Wellendorf durch beständiges Nachfragen nicht entkommen lässt, auf die gestellten Fragen zu antworten.

Lorenz Meyer formuliert es im Bildblog-Linktipp heute so:

Das vierminütige Gespräch lohnt in zweierlei Hinsicht: Weil es einen Programmchef zeigt, der sich in alle Richtungen dreht und windet und nach Ausschlüpfen sucht, und mit Sebastian Wellendorf einen Journalisten, der ihm dies nicht durchgehen lässt.

Auch wenn schriftliche Interviews nicht per se die schlechtere Umsetzungsform sind – ein Radiointerview mit einem langweiligen Gesprächspartner kann ermüdender sein als nachzulesen, was er gesagt hat: Dies hier ist ein gutes Beispiel für die Vorzüge des Radios, und selten lässt es sich so anschaulich zeigen.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Was wirklich nervt an Verlags-Podcasts, ist die Musik

Seit ein paar Monaten machen einige Verlage auch in Audio. Spiegel online, Zeit online, Süddeutsche Zeitung online und viele andere haben eigene Podcasts gestartet. Über die journalistische Inhalte, über die Aufbereitung fürs Hören und die technischen Qualität ist schon an einigen anderen Stellen gesprochen worden, darum geht es mir hier nicht.

Was mich aber auch heute noch nachhaltig verstört, ist die Musik, die dort eingesetzt wird. Wer etwa den „Debatten-Podcast“ von Spiegel online von und mit Sascha Lobo aufruft, wird mit einem elektronischen Loop aus zunächst drei Tönen empfangen, der in seiner Penetranz nervig ist – zumal er in diesem Fall am Anfang sehr lang unter den Zitaten steht. Angenehm anzuhören ist das nicht. So interessant Sascha Lobos Thema auch sein mag, über diese Schwelle muss ich erst mal hinwegkommen. Skippe ich den Teil mit der Musik, muss ich auf die Einleitung zum Thema verzichten.

Ich bin kein Musikwissenschaftler, deswegen kann ich keine professionelle Einschätzung abgeben, welche Wirkung die Musikauswahl im Einzelnen hat. Entscheidend ist für mich, mit welcher Stimmung ich in die Podcasts reingehe.

Bei „Stimmenfang“, ebenfalls von Spiegel online, wird – ebenfalls elektronisch – auf die Trommel geklopft. Die Musik vermittelt in ihrer Disharmonie – so wirkt es auf mich – etwas Dramatisches, ganz gleich um welches Thema es geht.

Die Süddeutsche Zeitung verzichtet in ihrem Podcast „Das Thema“ auf derartige Musik. Sie verwendet ein Jingle als Opener, auch wenn dieses als Bauchbinde eingesetzt wird – also zwischen dem Teaser fürs Thema und dem eigentlichen Gespräch. Ansonsten wird mit akustischen Trennelementen gearbeitet, die hier die Hinführung zum Thema strukturieren. Das ist besser gemacht; wem die Elemente nicht gefallen, der wird damit nicht lange behelligt.

Auch Zeit online setzt in ihrem Nachrichtenpodcast „Was jetzt“ auf zurückhaltende Musik. Ähnlich wie bei „Stimmenfang“ beginnt der Podcast allerdings mit einer disharmonischen Klangfolge. Ein ähnliches Motiv  verwendet die Redaktion auch beim Sexpodcast „Ist das normal?“ Auch hier geht es zum Glück schnell vorbei.

Nun setze ich nicht voraus, dass bei Podcasts alles so laufen muss wie im althergebrachten Radio. Vor allem erwarte ich nicht, dass Zeitungen genauso arbeiten wie Radiosender. Sicherlich ist es sinnvoll, mit anderen akustischen Elementen zu arbeiten, um sich von klassischen Audioproduzenten abzugrenzen.

Andererseits aber klingen viele Melodien, die ich gehört habe, nach Sparprogrammen. Nach vorgefertigter rechtefreier Musik oder solcher, die günstig selbst komponiert wurde. Bei mir hat das Rückwirkungen auf die Wahrnehmung der Inhalte. Genauso wie man etwa im Fernsehen in einer Pappkulisse mit schlechter Beleuchtung auch Rückschlüsse auf die Qualität der Nachrichten ziehen würde, führt eine schlechte akustische Aufbereitung dazu, entsprechende Rückschlüsse auf die Qualität der Podcast-Inhalte zu ziehen. Und bei mir hat es auch Auswirkungen auf die Lust, mir die Inhalte anzuhören. Zumal es auch bei der Wort-Präsentation teilweise an der Qualität hapert – man merkt den Zeitungsmachern an, dass ihnen die Routine vor dem Mikrofon fehlt.

Nun besteht die Gefahr, dass meine Kritik wohlfeil daherkommt. Ich hab gut reden, schließlich arbeite ich bei professionellen Radiosendern mit entsprechender Audio-Kompetenz und hab auch selbst mehr als 20 Jahre Erfahrung vor dem Mikrofon. Vielleicht ist es ja diese Haltung zu Audio-Produkten, die es für mich schwierig macht, den Zeitungskollegen zu folgen. Umgekehrt mag aber – dafür spricht ja der Erfolg einiger Produkte – genau diese Andersartigkeit der Grund dafür sein, warum sie so viele Hörer finden.

Weil es eben nicht das perfekte Audio-Produkt ist. Weil man noch Ecken und Kanten hört (im Gesprächs-Podcast gehört das ohnehin dazu). Weil eben alles ein wenig amateurhaft wirkt – aber vielleicht dadurch eine Besonderheit dieser Produkte ausmacht.

Es ist daher unnötig, die Podcasts zu kritisieren, wenn sie doch ihr Publikum finden. Mich selbst aber schreckt eben oft genug die Musik ab. So interessant die Inhalte auch sein mögen, die Musik versetzt mich in eine Stimmung, die mir das Weiterhören oft verleidet. Und das ist schade – für beide Seiten.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.

Berichten, was nicht ist – so helfen Journalisten negativ beim „Framing“

In der vergangenen Woche sind mir zwei Schlagzeilen ins Auge gefallen, die aus dem Rahmen fallen – beide bei Zeitungen der Welt-Gruppe, also bei „Welt“ und „Welt am Sonntag“.

Die „Welt“ titelte am Montag nach der Amokfahrt von Münster:

Die Mordfahrt von Münster war kein islamistischer Terror

Und gestern hieß es in der „Welt am Sonntag“:

Das ist nicht der dritte Weltkrieg

Die „Welt am Sonntag“ vom 15. April 2018 (Foto: Stefan Fries)

Beide Schlagzeilen folgen einem interessanten Muster: Sie sagen nicht, was ist, sondern sie sagen, was nicht ist. Sie reagieren offenkundig auf unterstellte Erwartungen ihrer Leser: In Münster wurde über einen islamistischen Anschlag spekuliert, bei den Angriffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs womöglich der Beginn einer militärischen Eskalation befürchtet, die zu einem Weltkrieg führen kann.

Dieses Muster kennen wir nicht von klassischen journalistischen Angeboten, sondern von Faktencheckern gegen Fake News, etwa den ARD-Faktenfindern bei tagesschau.de, dem Faktenfuchs beim Bayerischen Rundfunk und Echt Jetzt bei Correctiv. Auch dort finden sich Überschriften nach diesem Muster, zum Beispiel:

Kein Kurde namens „Jens R. Handeln“

Münster – YouTube-Video zeigt nicht die Täter

Nein, die Studie von Dr. Jones beweist nicht, dass Chemotherapie Krebspatienten früher sterben lässt

Gehen die Journalisten in diesen Fällen in der Regel davon aus, dass es sich um Fehlinformationen handelt, die richtiggestellt werden sollen, so folgen „Welt“ und „Welt am Sonntag“ mit ihren Überschriften auch in ihren Printausgaben abseits der Faktenchecks diesem Prinzip.

Ich halte das für gefährlich. Diese Haltung nimmt vorauseilend die Position derjenigen ein, die eine Fehlinformation und Lüge streuen, ein Gerücht ungeprüft weiterverbreiten, eine Angst artikulieren. Sie mag damit denjenigen entgegenkommen, die diese Haltung von sich aus oder verstärkt durch andere bereits selbst eingenommen haben. Sie trägt diese Haltung aber auch an diejenigen weiter, die von selbst nicht darauf gekommen wären.

Diese Haltung hilft den Urhebern beim Framing. Es werden Aspekte aktiviert, die tatsächlich nichts mit dem Thema zu tun haben. Wer „kein islamistischer Terror“ schreibt, aktiviert den Begriff „islamistischer Terror“. Wer schreibt „nicht der Dritte Weltkrieg“, der aktiviert den Begriff „Weltkrieg“. Mit Verneinungen kann unser Gehirn leider nicht gut umgehen. (Sie kennen ja das Beispiel „Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten.“ Denken Sie wirklich nicht dran?)

Anstatt also zu berichten, was ist (positiv), wird damit begonnen, zu berichten, was nicht ist (negativ). Anstatt von Fakten auszugehen, wird von Gerüchten ausgegangen. Damit löscht man diese Falschinformationen nicht aus, sondern streut sie größtmöglich breiter. Und man trainiert seine Leser darin, mit dieser Haltung an jede weitere Berichterstattung heranzugehen: Dann müssten Journalisten künftig erst mal alle Spekulationen zerstreuen, bevor sie über die eigentlichen Fakten berichten. Das kann nicht unsere Aufgabe sein.