Lügenpresse, Entfremdung, Elfenbeinturm: Die Zweifel an der journalistischen Arbeit sind immer noch hoch.
Schreibt Spiegel online. Und liefert sofort einen Grund, warum das wohl so sein könnte. Nämlich eine selbst durchgeführte Online-Umfrage, die keinerlei verlässliches Ergebnis hat und genau den Zweifel an der journalistischen Arbeit aufkommen lässt, den man eigentlich abfragen will.
DER SPIEGEL möchte wissen, was Sie denken: Über die deutschen Medien, über die Arbeit von Journalisten und die Berichterstattung des SPIEGEL. Was ärgert Sie, was finden Sie gut? Was vermissen Sie? Was müssen wir verbessern?
Die Nutzer werden dazu aufgerufen, bei zwei Fragen abzustimmen. Die erste Frage lautet:
Wie ist Ihre Haltung zu deutschen Medien?
- Ich vertraue ihnen weitgehend.
- Ich misstraue ihnen eher.
Problematisch ist der unbestimmte Medienbegriff in der Frage. Denn bei vielen Umfragen zum Vertrauen in Medien hat sich gezeigt, wie breit der Medienbegriff der Nutzer ist. Viele verstehen darunter nämlich nicht nur redaktionelle Medien, sondern auch soziale, in die man zurecht weniger Vertrauen haben sollte. Das zeigt sich daran, dass ihr Vertrauen in „die Medien“ insgesamt viel geringer ist als wenn man sie nach konkreten Mediengattungen oder Marken fragt, etwa nach Zeitungen, öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern oder etwa der „Tagesschau“.
Beispielhaft dafür nur mal eine Infratest-Dimap-Umfrage für den WDR (pdf) im Januar 2017. Gefragt nach der „Glaubwürdigkeit der Informationen in den deutschen Medien“ nannten sie 57 Prozent glaubwürdig.
Aufgegliedert nach Mediengattungen im weiteren Sinne sah das Bild aber anders aus.
Da liegen also bis auf Privatfernsehen und Privatradio alle seriösen Medien oberhalb des Durchschnittswertes – weil viele Befragte eben auch soziale Medien und das „Internet im Allgemeinen“ ebenfalls als Medien ansahen.
Insofern ist der Begriff, den Spiegel online verwendet, äußerst vage. Das Abstimmungsergebnis verwundert daher nicht.
Die Frage von Spiegel online ist allerdings noch viel schwammiger, weil dort sogar die nötige Trennschärfe zwischen den Antworten gar nicht gegeben ist. Dort lauten Frage und Antwortmöglichkeiten:
Wie informieren Sie sich?
- Ich lese vor allem klassische, etablierte Medien.
- Ich schaue und höre vor allem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk.
- Ich informiere mich vor allem über alternative Medien.
- Ich lese vor allem, was bei Social Media gepostet wird.
Darin finden sich gleich mehrere Überschneidungen:
- Unter klassischen, etablierten Medien werden offenbar lediglich lesbare verstanden. Dass auch Radio und Fernsehen mehr als 100 bzw. 60 Jahre nach ihrer Einführung dazuzählen sollten, ist wohl keine Frage.
- In Zeiten des sogenannten Internets sind zudem auch öffentlich-rechtliche Rundfunksender lesbar.
- Was alternative Medien sind, wird nicht erklärt. Die Unterscheidung muss also der Befragte treffen. Was der eine für alternativ hält, kommt dem anderen als Begriff nicht mal in den Sinn.
- Bei der Frage nach „Social Media“ verschwindet die Quelle dessen, was man liest, dann ja völlig im Dunkeln. Dort posten Nutzer originalen Unsinn, dort wird genauso auf diese ominösen alternativen Medien verwiesen wie auf seriöse. Mithin kann man durch einen Klick darauf gleichzeitig auch alle anderen Fragen mit Ja beantworten. Auswählen kann man aber nur eine Antwort.
So lässt sich das Ergebnis der Abstimmung jedenfalls nicht verwenden.
An den Umfragen haben offenbar zwischen 37.000 und 62.000 Nutzer teilgenommen (sicherlich mit Schnittmengen). Repräsentativ macht diese für Umfragen hohe Teilnehmerzahl diese aber auch nicht. Das schreibt Spiegel online zugegeben auch selbst:
SPIEGEL-ONLINE-Votes sind keine repräsentativen Umfragen. Sie geben lediglich ein Stimmungsbild derjenigen wieder, die bei den Votes mitmachen. Die Teilnahme ist unverbindlich und freiwillig.
Die Ergebnisse sind dann aber übrigens auch unverbindlich. Denn freilich ist die deutsche Bevölkerung darin nicht repräsentativ abgebildet. Aber nicht mal die aller Spiegel-online-Leser. Sondern nur die von denen, „die bei den Votes mitmachen“. Das zeigt dann noch mal sehr deutlich, wie wenig Aussagekraft diese Umfrage hat – nicht mehr als eine Voxpop-Umfrage für Radio und Fernsehen. Durch die hohe Teilnehmerzahl und die mit zwei Nachkommastellen scheinbar präzise ausgewiesenen Ergebnisse suggeriert sie aber Zuverlässigkeit. Welcher journalistische Mehrwert sich damit verbindet, erschließt sich mir nicht.
Begeisterung löst das aber freilich aus – die sollte aber nur für die Teilnehmerzahl gelten, nicht für die Ergebnisse.
Dass solche Umfragen leicht zu manipulieren ist, kommt noch als Gegenargument hinzu.
Und dann noch das hier: Spiegel online hat diese Frage im Anschluss an eine wissenschaftliche Studie zum Thema gestellt, über die es selbst berichtet hat – und stellt zwei Fragen aus dem Komplex dann noch mal schief bis falsch. Nach dem Motto: Hey, diese Ergebnisse kriegen wir mit unwissenschaftlichen Quatsch-Umfragen bestimmt zuverlässiger ermittelt.
Das schadet der Seriösität von Medien. Dass aber ausgerechnet die in dieser Umfrage abgefragt wird, ist die eigentliche Ironie der Geschichte.
Der Spiegel WAR mal ein seriöses Wochenmagazin. Der Absturz war langsam wie in Zeitlupe anzuschauen und begann mit Aust und Spiegel TV. Seit 1960 bin ich dabei und ärgere mich jedes mal wenn ich den Fehler begehe und Spon besuche, über die zunehmende Einflussnahme von Bertelsmann und Springer.
Ziemlich merkwürdige Aktion insgesamt. Erst recht vor dem Hintergrund, dass man doch gerade die begrenzte Tragfähigkeit von Umfrageergebnissen „aufgedeckt“ hatte und damit nun zurückhaltender umgehen wollte.
Möglicherweise ein Versuch, einen Teil Spon-Enttäuschter durch eine Abwandlung der aus einem Spickzettel bekannten Anweisung „I hear you“ emotional anzusprechen?
Ich vermute, dass da unterschiedliche Redaktionen am Werk sind. Wer sich journalistisch mit der Sonntagsfrage beschäftigt, muss nicht derselbe sein, der solche Umfragen zur Leserbindung startet.
@Stefan Fries:
Dass das verschiedene Autoren und Redaktionen sein mögen, ist sicher richtig. Die sog. „Akte Marktforschung“ hat allerdings Umfrageergebnisse und wie man sie in der Berichterstattung aufgreift insgesamt angesprochen, nicht nur die Sonntagsfrage. Vor allem aber kann man doch wohl die folgenden Aussagen als Commitment für Spon insgesamt verstehen:
„Für uns sind Umfragen Informationsquellen, die wir grundsätzlich kritisch prüfen. Bevor wir über eine Studie berichten, klären wir zentrale Fragen zur Methodik.“ …
„Daher werden wir Studien aus der Marktforschung von nun an noch kritischer prüfen, bevor wir sie in der Berichterstattung aufgreifen. Dasselbe gilt für Umfragen, die wir in Auftrag geben.“…
„Bei allen anderen Umfragen gilt: Zum Anlass für einen Artikel nehmen wir diese in Zukunft nur, wenn wir einen tieferen Einblick in die tatsächlichen Abläufe haben. Solange sie aber unklar sind oder begründete Zweifel an der Vorgehensweise bestehen, verzichten wir auf eine Berichterstattung.“
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/manipulierte-marktforschung-wie-geht-der-spiegel-mit-umfragen-um-a-1190633.html
Okay, hier könnte man sagen, das ganze ist transparent. Transparent unzuverlässig, manipulationsanfällig und offenkundig in keinster Weise der Repräsentativität verdächtig. Man hat es sicher „kritisch geprüft“, sicherlich als Humbug erkannt und dann … trotzdem gemacht. Ist es das, was man unter einer „lernenden Organisation“ versteht?