Eine Aufgabe von Journalisten ist es, auszuwählen, welche Themen relevant sind für ihre Leser, Hörer und Zuschauer. Seit den jüngsten Terroranschlägen zweifle ich aber daran, ob wir das wirklich tun. Denn die Horrormeldungen reißen nicht ab: Orlando, Nizza, Würzburg, Reutlingen, München, Ansbach – Orte, an denen es Gewalttaten gegeben hat. Nicht alle sind journalistisch gleich relevant. Die Tat in Reutlingen etwa ist insofern ein Ausreißer, da es sich dabei laut Polizei um eine Beziehungstat gehandelt hat, also die Relevanz für eine größere Öffentlichkeit über Reutlingen hinaus zweifelhaft ist. Dennoch sind wir Journalisten alle drauf angesprungen, war der Täter in Reutlingen doch ein Flüchtling aus Syrien, der einen Asylantrag gestellt hatte.
Jede Gewalttat weltweit scheinen wir offenbar erst mal als weiteren Anschlag einzustufen, bis das Gegenteil bewiesen ist. Das zeigte sich nicht nur an Reutlingen, sondern auch an Fort Myers in Florida. Dort hatte es eine Schießerei mit zwei Toten gegeben, die zugegebenermaßen an den Anschlag auf einen schwulen Club in Orlando erinnerte, aber nach derzeitigem Stand keinen terroristischen Hintergrund hat. Dennoch klingelten die Eilmeldungen und suggerierten einen solchen Zusammenhang. Denn die Tat fügt sich in das Narrativ dieser Tage ein, dass es überall Terrorismus gibt. Dabei sterben in den USA jedes Jahr mehr als 30.000 Menschen durch Schusswaffen, und die Tat von Fort Myers ist nach derzeitigem Ermittlungsstand wohl nur eine weitere in dieser Reihe. Wäre sie uns wirklich eine Eilmeldung wert, wenn sie nicht nach anderen Taten passiert wäre?
Ich finde, indem Journalisten bei jeder neuen dieser Taten erst mal hyperventilieren, ohne weitere Hintergründe zu kennen, ihn per Eil- oder Pushmeldung in die Welt blasen und ihn damit indirekt in das Narrativ einbauen, bauen sie ein Bedrohungsszenario auf, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Selbst wenn innerhalb der Meldungen differenzierter argumentiert wird. Die Relevanz solcher Meldungen – zumindest als Eilmeldung – ist für mich fraglich. Damit verfallen wir in das Narrativ von Terroristen, die Angst und Schrecken verbreiten wollen – und wir Journalisten komplettieren ihre Angstmache mit Taten, die damit nichts zu tun haben.