Wer selbst einmal ehrenamtlich bei der Durchführung und Auszählung einer Wahl geholfen hat, mag sich über das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichts zur Bundespräsidentenwahl wundern. Freilich hat es Pannen und Fehler gegeben – weil es die bei jeder Wahl gibt.
Ich habe bei mehreren Wahlen in Deutschland als Wahlhelfer gearbeitet, mal als Beisitzer, mal als Schriftführer. Es sind fast ausschließlich Ehrenamtliche, die sich um die Durchführung der Wahlen im Wahllokal kümmern, keine Profis. Selbst die Verwaltungsbeamten, die teilweise eingesetzt werden, um Lücken bei den Ehrenamtlichen zu stopfen, sind keine Profis in Sachen Wahl. Das heißt: Dort sitzt eine Gruppe von Bürgern mit wenig Expertise in Wahldurchführung.
Wer einmal in die Vorschriften für die Durchführung von Wahlen geschaut haben, weiß, wie viele Fallstricke es dabei und bei der Auszählung von Stimmen gibt. Was bei der Ausschilderung von Wahllokalen zu beachten ist. Wie Wahlkabinen aufgestellt werden müssen. Wie mit Äußerungen für oder gegen Parteien im Wahllokal umgegangen werden muss. In welchen Fällen die Polizei gerufen werden muss. In welchen Fällen die Wahlleitung.
Wer das mitgemacht hat, weiß auch, dass es bei vielen Fragen Ermessensspielraum gibt – auch bei der Auszählung von Stimmen. Wenn etwa ein Wähler sein Kreuz nicht in einem der vorgesehenen Felder gemacht hat, kann der Wahlvorstand die Stimme dennoch als gültig ansehen, wenn die Wahlentscheidung eindeutig getroffen wurde – etwa wenn der Name der Partei umrandet wurde.
Oft sitzen im Wahlvorstand Mitglieder von Parteien. Weil die sich politisch ohnehin engagieren, gehören sie auch zu denjenigen, die sich bereit erklären, als Wahlhelfer zu arbeiten. Sie könnten bei der Auszählung von Stimmen besonders unter Verdacht stehen, zu manipulieren.
Fehler sind nicht gleich Manipulationen
De facto ist das aber kaum möglich. Denn sie sind im Wahlvorstand nicht in der Mehrheit und haben diese Manipulationsmöglichkeit auch nicht. Mal davon abgesehen, dass eine Manipulation in einem von hunderten bis bundesweit zehntausenden von Wahlbüros wenig Effekt haben würde. Außerdem ist nicht nur die sogenannte Wahlhandlung öffentlich, das heißt jeder Bürger darf sich den ganzen Tag im Wahllokal aufhalten und auch die Auszählung beobachten.
In fast allen Fällen sind es einfach Fehler, die bei der Auszählung von Stimmen passieren. Einfach deswegen, weil sich damit Bürger beschäftigen, Laien. Weil die Regeln für die Auszählung kompliziert sind. Weil etwa bei der Bundestagswahl zwei Stimmen pro Wähler auszuzählen sind, die sich aber auf demselben Wahlzettel befinden, diese Zettel also bei der Auszählung in sehr verschiedene Stapel aufgeteilt werden.
Viele – nicht alle – der Fehler, über die jetzt von der Bundespräsidentenwahl in Österreich berichtet werden, scheinen mir in diese Kategorien zu fallen. Dass teilweise Briefumschläge zu früh geöffnet wurden, stundenweise unbeobachtet waren, ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass es zumindest mir wenig sinnvoll erscheint, mit der Auszählung bis zum nächsten Tag zu warten. Wer sich ehrenamtlich engagiert, ist wahrscheinlich froh, wenn er möglichst früh wieder aus dem Wahllokal herauskommt. Ich will sie damit nicht von einem Fehler reinwaschen, aber möglicherweise sind es einfach wenig sinnvolle Vorschriften, die Wahlhelfer nicht gerade motivieren.
In Deutschland werden die Briefwahlstimmen übrigens zur selben Zeit ausgezählt wie die aus den Wahlurnen, so dass sie sofort ins vorläufige endgültige Wahlergebnis einfließen. Und dieses, übrigens, ist v.a. aus einem Grund vorläufig: Wenn die Stimmen in den Wahllokalen ausgezählt sind, gibt der Chef des Wahlvorstands diese Stimmen in einer sogenannten Schnellmeldung telefonisch an die Stadtverwaltung durch. Von dort werden sie durch die Instanzen nach oben gemeldet. Das heißt, das vorläufige amtliche Endergebnis beruht auf diesen Schnellmeldungen. Es gibt also eine ganze Reihe von Fehlerquellen: Auszählungsfehler, Übermittlungsfehler, Verständnisfehler, Tippfehler. Die gesammelten Stimmen werden deshalb zunächst behalten und dann physisch zur Verwaltung gebracht, wo sie erneut ausgezählt werden, bis das amtliche Endergebnis erklärt wird. Das heißt, wenn jemand ernsthaft manipulieren will, reicht es nicht aus, ins Wahlprotokoll einfach falsche Stimmenzahlen zu schreiben; in dem Fall müssten auch entsprechend viele falsche Stimmzettel ausgefüllt und den anderen Mitgliedern des Wahlvorstands untergejubelt werden.
Wahlwiederholung nicht nur bei Manipulation?
Österreich muss seine #bpw16 wiederholen. Schriftsteller Haslinger hält das für überflüssig und kontraproduktiv https://t.co/HS1IuXEU3f
— DKultur (@DKultur) July 1, 2016
Dass durch solche Fehler eine Wahl wiederholt werden muss, findet der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger überflüssig und kontaproduktiv. Im Deutschlandradio Kultur sagte Haslinger, die Tatsache, dass einige Wahlkuverts schon am Sonntagabend, statt erst, wie vorgeschrieben, am Montagmorgen, geöffnet worden seien, habe „überhaupt keinen Einfluss auf ein Wahlergebnis. Es ist aber ein Formfehler, der nicht dem Gesetz entspricht. Also müsste man… vermutlich sogar das Gesetz ändern, damit das nicht solch absurde Ausmaße annimmt.“ Weil es keine Hinweise auf Wahlmanipulation gebe, sei ein Neuwahl nicht gerechtfertigt.
Wer ernsthaft von Manipulation spricht, sollte die erst einmal nachweisen statt Verschwörungstheorien zu bemühen. In Österreich haben die Richter solche Manipulationen nicht feststellen können, lediglich Verstöße gegen Vorschriften. Was durchaus nicht dasselbe ist. Wer genauer wissen will, wovon er eigentlich spricht, sollte sich einmal selbst als Wahlhelfer engagieren oder wenigstens einer Wahl und deren Auszählung selbst beiwohnen. Sicher sind Fehler gemacht worden, wie überall, wo Menschen beteiligt sind, vor allem wo Laien beteiligt sind, vor allem bei komplizierten Vorschriften, aber es sind eben das: Fehler, keine absichtlichen Manipulationen.
Eigentlich müsste deshalb jede Wahl wiederholt werden. Aber auch bei einer Wiederholung würde es erneute Fehler geben. Eine fehlerfreie Wahl ist einfach nicht denkbar. Gewisse Unsicherheiten müssen wir einfach hinnehmen.
Dennoch finde ich es richtig, dass die Bundespräsidentenwahl in Österreich wiederholt wird, denn bei einem Unterschied von am Ende nur rund 31.000 Stimmen können sich durch Fehler durchaus relevante Verschiebungen ergeben. Wenn die FPÖ das allerdings ausgerechnet im 2. Wahlgang anmerkt, als ihr Kandidat unterlegen war, nicht aber im 1. Wahlgang, wo ihr Kandidat vorne lag und wo es definitiv ähnliche Fehler gegeben haben wird, ist doch eindeutig, dass es der Partei nicht um Prinzipien der Demokratie geht, sondern darum, ihren Verlierer doch noch ins Amt zu haben. Denn in der Welt von Populisten ist es einfach nicht möglich, dass ihr Kandidat nicht gewinnt. Denn dann würde die Theorie von der schweigenden Mehrheit, die sie angeblich vertreten, in sich zusammenbrechen.