Hey, das lief ja gut für den Bielefelder Rechtsanwalt Detlev Binder. Er vertritt Wilfried W., der in seinem Haus in Höxter zwei Frauen zu Tode gequält haben soll.
Er hat dem „Westfalen-Blatt“ ein Interview gegeben. In einem Video-Interview dort sagt er, die beiden Opfer könnten noch leben, wenn die Polizei damals richtig reagiert hätte.
Binder macht seinen Job richtig: Er verteidigt seinen Mandanten. Es steht ihm frei, dessen Version in die Öffentlichkeit zu geben. Auch wenn es manch einem merkwürdig erscheinen mag, dass er einen Teil der Verantwortung auf die Polizei abwälzt, darf er das tun. Wahrscheinlich hätte er aber nicht gedacht, dass ihm viele Medien so willfährig folgen und seine Version fast ungefiltert weitergeben.
So schreibt etwa der Kölner Stadt-Anzeiger:
#Höxter schwere #Vorwürfe gegen die #Polizei – Frau hätte gerettet werden können. https://t.co/SJgVhyEdzo
(ama)— ksta.de (@ksta_news) 25. Mai 2016
„Das Täterpaar wollte die Frau freilassen und fuhr mit ihr zur Polizeiwache“, heißt im Anreißer zum Link. Tat es das wirklich? Wollte es das wirklich? Die Indikative im Satz legen das nahe. Aber wir wissen es nicht; die einzige Quelle dafür ist parteilich.
Auch der Tagesspiegel erweckt mit seiner Überschrift den Eindruck von Tatsachenbehauptungen:
Der Stern versteckt immerhin den Urheber der Aussagen in der Dachzeile:
Überrascht bin ich, dass sich die Clickbaiting-Maschine focus.de zurückhält und sich sogar in der Überschrift von der Aussage des Anwalts distanziert:
Ebenso wie Spiegel online:
Sowohl Focus als auch Spiegel tun dann aber auch kaum anderes, als die Aussagen des Anwalts wiederzugeben. Zwar gibt es den Hinweis darauf, dass sich die Polizei wegen der laufenden Ermittlungen nicht dazu äußern möchte. Aber beide geben dem Tatverdächtigen breiten Raum, ohne den Vorwürfen eine zweite Meinung oder Fakten entgegenstellen zu können. Und rücken damit die Polizei in den Mittelpunkt des Falls.
Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt. Die Journalisten wissen es auch nicht. Was sich der Leser denkt: keine Ahnung.
Vorwürfe erheben kann jeder. Aber es liegt in der Verantwortung von Journalisten, diesen Vorwürfen entweder nachzugehen und sie zu erhärten – oder die Geschichte erst mal liegenzulassen.
Aber sie klang einfach zu spektakulär. Vielleicht wusste Detlev Binder das.
Ein ähnlicher Fall ist, wie der Stern sich auf die Seite von Frau Lohfink geschlagen hat, und die Gerichtsentscheidung stark kritisiert hat, ohne wirklich auf Details der Prozessführung einzugehen. Es mag Frau Lohfink übel ergangen sein, und es kann durchaus sein, dass sie Opfer strafbarer Handlungen wurde, aber der Stern hat meiner Ansicht nach über die Angelegenheit sehr einseitig berichtet. Ich bin mir nicht sicher, ob andere Medien dazu Stellung genommen haben. Journalisten scheinen einander nicht gerne zu kritisiern, da gibt es wohl so eine Art Schweigekodex. Zum Teil ist das ja angemessen, aber es gibt der berichtenden Zunft auch eine erstaunliche Narrenfreiheit. Vielleicht sollten die Medien mit sich untereinander etwas kritischer umgehen und auch die Auseinandersetzung nicht grundsätzlich scheuen.