Die Pressekonferenz als Bühne (14): Wie zu Guttenberg die Hauptstadtpresse düpierte

Wenn die Regeln der Bundespressekonferenz verletzt werden, reagieren ihre Mitglieder verstimmt. So sorgen sie am 18. Februar 2010 für eine der kürzesten Pressekonferenzen in der Geschichte des Vereins. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg steht in der Kritik, weil ihm Plagiate in seiner Doktorarbeit vorgeworfen werden. Rund 30 Journalisten erwarten sich von zu Guttenbergs Sprecher Steffen Moritz Antworten.

Leifert: „Frage an Herrn Moritz: Wird es heute eine Erklärung des Verteidigungsministers geben, wann und mit welchem Inhalt?“

Steffen Moritz: „Der Minister wird jetzt in diesem Moment in den nächsten Minuten vor einigen ausgewählten Medienvertretern, die da vom Ministerium gewartet haben, eine Erklärung abgeben. Und den Inhalt werden Sie dann erfahren, wenn er es getan hat.“

Gößling: „Herr Moritz, wenn ich da für den Vorstand der Bundespressekonferenz sagen darf: Dieses Verfahren halten wir nicht für fair, das…“

(Applaus)

Gößling: „Gut, Herr Wonka.“ (…)

Wonka: „Ehrlich gesagt, Herr Moritz, bin ich baff, dass ihr Minister so ein Feigling ist und sich nicht vor nicht vor nicht nur ausgewählten Medien, die gewartet haben, um einen Tonständer hinzustellen und der Minister, so denke ich mir das, spricht seine zehn Sätze und geht dann wieder. Das widerspricht eigentlich meiner Wahrnehmung Ihres Ministers. Können Sie mal eine Erklärung versuchen, weshalb man seinen Rücktritt nur so in einer dürren Erklärung vor ausgewählten Kameraleuten sagen, weshalb er nicht die Traute hat, sich hierherzustellen, um Fragen zu beantworten, die alle möglichen Leute, nicht nur böse Journalisten, stellen und die auf eine Antwort warten.“

Moritz: „Also er hat sich so entschieden, wie er sich entschieden hat, vorzugehen. Und ich habe das jetzt von hier aus nicht weiter zu interpretieren oder zu kommentieren.“

Auch Regierungssprecher Steffen Seibert gibt auf Nachfrage keine weiteren Informationen preis. Ein Journalist bittet darum, die Regierungspressekonferenz um eine Stunde zu verschieben. Ein anderer bittet um Abbruch der „Witzveranstaltung“, wie er sie nennt.

Gößling: „Okay, dann schlage ich vor, wir ziehen die anderen Themen vor. Bis dahin hat Herr Moritz vielleicht etwas oder Herr Seibert auch etwas mehr. Und dann überlegen wir, wie wir weiter verfahren. Herr Seibert, dann darf ich Sie bitten, die Termine der nächsten Woche vorzutragen.“

Wonka: „Moment, ich hatte gebeten, dass wir die Veranstaltung hier abbrechen und jetzt nicht die Staffage für Terminankündigung geben. Ich finde es eine Brüskierung sondergleichen, dass nicht mal die Erklärung, die Herr Guttenberg jetzt abgibt, hier verlesen werden kann, so dass wir wissen, worum es geht. Dann braucht man diese ganze Veranstaltung nicht. Deswegen würde ich wirklich… Also ich würde – ich weiß nicht, ob das geht – ich hätte gerne, dass wir jetzt aufhören…“

Gößling: „Also, Herr Wonka, das ist nicht in unserer Tradition. Wir sind hier dazu da, um auch den Kollegen, die an anderen Informationen interessiert sind, diese zu geben. Was wir zu dem anderen Thema anschließend machen, darüber können wir dann ja weiter beraten. Herr Seibert, Sie haben das Wort.“

Die nächsten vier Minuten und 25 Sekunden trägt Steffen Seibert Stellungnahmen und Termine vor. In dieser Zeit packen die Hauptstadtkorrespondenten ihre Kameras und Mikrofone weg und verlassen geschlossen den Saal.

Zurückgetreten ist zu Guttenberg übrigens nicht während dieser Pressekonferenz, sondern erst einige Tage später.

Die Pressekonferenz als Bühne (13): Wie Frauke Petry die Bundespressekonferenz missbrauchte

Bei der Bundespressekonferenz in Berlin gelten regeln – für die teilnehmenden Journalistinnen und Journalisten genauso wie für die Besucher, die auf dem Podium sprechen dürfen.

Eine Regel für Gäste lautet: Wer sprechen will, muss auch Fragen beantworten. Das galt auch für AfD-Parteichefin Frauke Petry nach der Bundestagswahl 2017. Der AfD war gerade zum ersten Mal der Einzug in den Bundestag gelungen, am Tag danach treten die Spitzenkandidaten und die Parteichefs auf. Frauke Petry erhält das Wort (ab Min. 4:12).

Frauke Petry: „Eine anarchische Partei, wie es in den vergangenen Wochen das eine oder andere Mal zu hören war, die die AfD sei, die kann in der Opposition erfolgreich sein, aber sie kann eben dem Wähler kein glaubwürdiges Angebot für die Regierungsübernahme machen. Und das ist der Grund, meine Damen und Herren, unter anderem in meinem Anspruch verbunden, dass ich aktiv gestalten möchte und eben Realpolitik im guten Sinne einer konservativen Politik machen werde, für mich nach langer Überlegung zu entscheiden, dass ich der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag nicht angehören werde. Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis, dass ich dazu jetzt auch keine weiteren Fragen beantworte. Sie haben sicherlich noch viele Fragen. Ich werde im Foyer auch noch für wenige Nachfragen bereitstehen. Ich möchte mich bei meinen Kollegen bedanken, bei Alice Weidel, bei Alexander Gauland und bei Jörg Meuthen und werde jetzt diesen Raum verlassen. Dankeschön.“

BPK-Sprecher: „Also pardon, das halte… Frau Petry, das finde ich kein faires Verhalten hier auch gegenüber den Kollegen…“

Petry: „Ja, das tut mir leid, aber…“

BPK-Sprecher: „Sie nutzen das Forum der Bundespressekonferenz, um ihre Botschaft zu setzen, und verschwinden dann. Also insofern missbilligen wir dieses Verhalten ausdrücklich.“

In dem Moment hat Frauke Petry bereits den Saal verlassen. Die drei zurückgebliebenen AfD-Spitzenpolitiker Alexander Gauland, Alice Weidel und Jörg Meuthen schauen sich lachend an. Unruhe im Saal. Einige Fotografen und Journalisten folgen Petry aus dem Saal.

Meuthen: „Krieg ich jetzt das Wort?“

BPK-Sprecher: „So, also noch mal. Ich missbillige als Vorstand der Bundespressekonferenz hier dieses Verhalten ausdrücklich, die Bundespressekonferenz hier als Forum in dieser Form, ich möchte mal sagen, zu missbrauchen.“

Die Pressekonferenz als Bühne (11): „Warum macht Ihnen Pressefreiheit so viel Angst?“

Eigentlich war US-Präsident Donald Trump es gewöhnt, bei Pressekonferenzen das Wort selbst zu erteilen – und seine Gunst auch wieder zu entziehen oder Fragen nicht zu beantworten.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2017 zu ihrem ersten Staatsbesuch nach Washington kam, konnte nicht er bestimmen, wer spricht. Das Wort bekam Kristina Dunz, damals arbeitete sie noch für die Deutsche Presse-Agentur.

Kristina Dunz: „Frau Bundeskanzlerin, mit Ihrer Erfahrung aus der DDR äußern sie immer die Zuversicht, dass Mauern auch wieder fallen können. Für wie gefährlich halten Sie die Abschottungspolitik des US-Präsidenten mit seinen geplanten Importzöllen und auch seiner Geringschätzung für die Europäische Union als Gemeinschaft? Und, Herr Präsident: Ist es nicht auch eine Gefahr für Amerika, wenn ‚America first‘ die Europäische Union schwächen würde? Und was macht es Ihnen eigentlich… warum macht Ihnen eigentlich Pressevielfalt so große Angst, dass Sie so oft von Fake News sprechen und selbst Dinge behaupten, die dann nicht belegt werden können, wie die Äußerung, Obama habe Sie abhören lassen?“

Angela Merkel: „Ja, ähm…“

Donald Trump: „Should I go first? Nice, friendly reporter. First of all, I don’t believe in isolationist policy…”

Für meine Sendung über „Die Pressekonferenz als Bühne“ hat mir Kristina Dunz erzählt, wie sie die Situation damals wahrgenommen hat.

„Was überraschend für mich war, dass er konterte mit der ‚nice, friendly reporter‘, (…) das ist übersetzt, dass das so was heißt wie ‚blöde Kuh‘. Aber er hatte sich da nicht so ganz im Zaume. Im Nachhinein soll er sich sehr geärgert haben über die Frage und die Bundeskanzlerin gefragt haben, warum sie so eine Frau mit so einer Frage aussuche. Und Frau Merkel hatte dann nur geantwortet, sie sucht da weder Frage noch Frau aus. (…) Das ist ja bei diesen Reisen mit der Kanzlerin so, dass der mitreisende Journalistentross – so ungefähr 15 Journalistinnen und Journalisten – unter sich ausmacht, wer eine Frage stellen darf. In der Regel sind internationale Pressekonferenzen so, dass es zwei Fragen pro Nation gibt. Und insofern war ich damals ja für die Deutsche Presse-Agentur auch ausgewählt.“

Dass bei Pressekonferenzen auf Auslandsreisen oft nur zwei mal zwei Fragen gestellt werden dürfen, begründet Regierungssprecher Steffen Seibert mit dem engen Zeitplan, wie er mir erzählt hat.

„Also erstens mal: Zwei Fragen pro Land macht vier Fragen. Aber das stimmt die Mathematik oft nicht, weil natürlich der gewiefte Journalist – und da sind die Ausländer genau wie unsere – irgendwie immer noch eine zweite Frage unterbringen. Und so hast du de facto eigentlich immer fünf oder sechs Fragen. Die müssen oft von beiden beantwortet werden. Also hast du zwölf Antworten, das sprengt oft den vorgesehenen Zeitraum. Regierungs-, Arbeitsbesuche oder auch Staatsbesuche haben ja viele Programmpunkte. Da ist die Pressekonferenz einer, ein wichtiger, aber nicht der einzige. Da muss man schon gucken, dass man irgendwie durchs Programm kommt.“

Hier machen die Journalisten also die Fragesteller unter sich aus. Anders bei Pressekonferenzen etwa im Kanzleramt oder in Ministerien, in denen die Pressesprecher das Wort erteilen. Das war vor allem in der Anfangsphase der Pandemie ein Problem, als Pressekonferenzen nur per Videokonferenz stattfanden, dazu Fragen nur schriftlich eingereicht werden konnten und die Pressestellen auswählten, welche Frage sie weitergaben.

Noch mal zurück zu Donald Trump und der hartnäckigen Journalistin aus Deutschland. Hier sieht man besonders gut, was es bedeutet, wenn Politiker es gewohnt sind, ihre Gunst gezielt zu verteilen. Kristina Dunz‘ erste Frage nach dem Isolationismus verneint er zunächst wortreich, beantwortet die Frage nach Angst vor Pressefreiheit aber nicht und nennt sie selbst einen Beweis für Fake News.

„Ich habe einen sehr, sehr guten Tipp bekommen von dem damaligen ZDF-Korrespondenten Ulf Röller, der gesagt hatte: Stell die Frage auf Deutsch, dann kann er dich nicht unterbrechen, er muss abwarten, bis die Übersetzung zu Ende ist. Und damit kam diese Frage einmal in Ruhe rüber, ohne dass er reinpoltern konnte. Das war tatsächlich in der Zeit, also zwei Monate seit seiner Amtseinführung, die erste Frage dieser Art, die ihm so gestellt wurde. Und deswegen war damals so eine Erleichterung bei den US-Kollegen und Kolleginnen, die so gesagt haben: So, jetzt ist es einmal öffentlich, was hier abläuft.“

In Deutschland genauso wie in den USA wurde Kristina Dunz für ihre eigentlich simple Frage von Kolleginnen und Kollegen gefeiert. Sie selbst hielt die Frage, warum er so viel Angst vor Pressefreiheit habe, für naheliegend. Den Kollegen in den USA lag nach ihrer jahrelangen Auseinandersetzung mit Trump und der Gewöhnung an seine Attacken auf die Presse diese Frage schon wieder sehr fern.

Unter anderem hier hat Kristina Dunz damals über ihre Frage gesprochen.

Die Pressekonferenz als Bühne (10): „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“

Vor allem unter Anspannung haben Politiker eine Pressekonferenz mitunter nicht unter Kontrolle. Am 17. November 2015 sollte eigentlich ein Fußball-Länderspiel der Herren im Stadion in Hannover stattfinden – ein Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden. Drei Tage zuvor hatte es in Paris die islamistisch motivierten Terroranschläge mit 130 Toten gegeben. Anderthalb Stunden vor Anpfiff – im Stadion saßen bereits erste Fans – sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Spiel ab – wegen Terrorgefahr.

De Maizière sitzt in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im niedersächsischen Innenministerium neben seinem Kollegen Boris Pistorius und dem amtierenden Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Rauball. Er muss etwas sagen, kann es aber eigentlich nicht, weil er nicht über Terrorgefahr sprechen will. So bleibt er vage und stiftet mehr Verwirrung als zu informieren.

Ich bitte um Verständnis, dass ich aus ganz grundsätzlichen Erwägungen die Quelle und das Ausmaß des Hinweises und der Gefährdung nicht weiter kommentieren möchte. Das würde für die Zukunft Rückschlüsse auf unser Verhalten zulassen, dass wir jede denkbare Hinweisgeber dazu führen, gegebenenfalls keine Hinweise mehr zu geben. Beides dient nicht der nationalen Sicherheit unseres Landes.

De Maizière steht unter Druck – wie sich zeigt, als der erste Journalist eine naheliegende Frage stellt.

Frage: „Gibt es denn eine noch anhaltende Gefährdungslage? Oder ist die jetzt beendet?“

De Maizière: „An wen richtet sich die Frage? (…) Ich fang vielleicht mal an.“

De Maizière muss erst aufgefordert werden, zu antworten. Und da er das nicht möchte, simuliert er erst einmal allerlei Fragen, die ihm niemand gestellt .

Ich fange… ich fange gleich mal an. Wissen Sie, Ich verstehe diese Frage. Und ich verstehe auch die folgenden Fragen, die kommen werden. Was genau war denn der Hintergrund der Gefährdung? Was hätte passieren können? Wovor? Was war der Gefährdungsgrad, warum sie abgesagt wurde? Was war der zeitliche Ablauf, dass die Entscheidung nachher so klar war, wie wir sie beide getroffen haben? Ich verstehe diese Fragen ja. Verstehen Sie bitte, dass ich darauf keine Antwort geben möchte. Warum? Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern. Ein Teil dieser Antworten würde unser Verhalten in Zukunft erschweren. Denn wir werden auch in Zukunft solche Entscheidung zu treffen haben. Vielleicht nicht in Hannover, sondern irgendwo anders. Zum Teil würde auch die Aussagen, die ich jetzt machen würde, gegebenenfalls den Hinweisgeber dazu führen, dass wir vielleicht demnächst keine Hinweise mehr bekommen. Das wäre auch nicht im Interesse. Ich bitte einfach mal die deutsche Öffentlichkeit um einen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Landesinnenminister und gegenüber mir und gegenüber den Sicherheitsbehörden, dass wir gute Gründe hatten, bittere Gründe, das so zu entscheiden. Dass es aber nicht weiterhilft, jetzt die Einzelheiten so darzulegen, dass Ihre verständliche Neugier befriedigt wird, aber das Handeln für die Zukunft erschwert wird.

Vor allem de Maizières zentraler Satz, ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern, sorgte anschließend für genau das – und für Spott. Später räumte er einen Fehler ein, auf diese Frage habe es keine richtige Antwort gegeben. Es sei ihm aber spontan keine andere Antwort eingefallen.

Die Pressekonferenz als Bühne (9): Die besondere Dynamik

Auf Pressekonferenzen ist die Möglichkeit von Journalistinnen und Journalisten, zu fragen, begrenzt. Oft ist zunächst immer nur eine Frage erlaubt, in der Bundespressekonferenz auch eine Nachfrage.

Es sind aber ausdrücklich keine Interviews, das heißt, man hat nicht durchgehend das Fragerecht, dementsprechend kann man nur begrenzt nachhaken, wenn einen die Antwort nicht zufriedenstellt. Gemeinsam kann es aber durchaus gehen, wenn Kolleginnen und Kollegen auf den Aspekt einsteigen und die Befragten in verteilten Rollen unter Druck gesetzt werden.

Für meine Sendung „Die Pressekonferenz als Bühne“ habe ich mal anhand eines Beispiels erklärt, wie so eine Dynamik entstehen kann. Es stammt von Mitte März 2021.

(Ich hab im Folgenden dasselbe Youtube-Video mehrmals eingebunden, aber mit unterschiedlichen Timecodes; je nach verlinkter Stelle beginnt die geschilderte Szene durch Klick auf den Play-Button im Video.)

In der Regierungspressekonferenz stellt Nikita Jolkwer von der Deutschen Welle die Frage, ob die Regierung den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V bestellen will. Für das Bundesgesundheitsministerium antwortet Hanno Kautz, man wolle erst auf die europäische Zulassung warten. Jolkwer verweist darauf, dass andere Impfstoffe bereits vor der Zulassung bestellt wurden.

Der Journalist Tilo Jung, der vor allem bei Youtube für ein junges Publikum über Politik berichtet, greift die Vorlage seines Kollegen Jolkwer auf.

Tilo Jung: „Das versteh ich jetzt nicht. Warum wird Sputnik V nicht jetzt schon bestellt, wie alle anderen?“

Hanno Kautz: „Herr Jung. Also. Dieses Zulassungsverfahren ist gerade erst eingeleitet worden. Es ist ein Rolling-Review-Verfahren. Es ist mitnichten so gewesen, dass das bei allen anderen Impfstoffen dann zeitgleich bestellt wurde. Außerdem habe ich gerade schon betont, dass wir rund 300 Millionen Impfstoffdosen, glaube ich, insgesamt bestellt haben bei anderen Herstellern. Ob man noch weitere Impfstoffe bestellt, ob man Sputnik V bestellt, kann ich Ihnen im Moment nicht sagen.“

Jung: „Alle Experten, so wie ich sie verstanden habe, sagen: Jeder Impfstoff, der eine sehr gute Chance hat, jetzt zugelassen zu werden, muss jetzt massenhaft bestellt werden. Mich würde interessieren, wieviel… Weil: Sie müssen ja davon ausgehen, dass Sputnik V zugelassen wird: Wieviel haben Sie schon bestellt, wieviel werden Sie bestellen und wie bewerten Sie, dass der Impfstoff jetzt auch in Deutschland produziert werden soll?“

Kautz: „Herr Jung, ich hab doch gerade schon gesagt, dass ich Ihnen nicht sagen kann, ob der Sputnik V bestellt wird, ob wir mit dem Hersteller verhandeln.“

Wie üblich auf einer Regierungspressekonferenz, stellen Journalisten abwechselnd ihre Fragen; wollen Sie ein Thema verfolgen, müssen sie sich erneut melden. Erst rund neun Minuten später ist Nikita Jolkwer von der Deutschen Welle wieder dran.

Nikita Jolkwer: „Herr Kautz, noch mal ganz kurz zurück zu dem russischen Impfstoff. Können Sie ausschließen, dass bei der Entscheidung, ob der Impfstoff bestellt werden soll oder nicht, nachdem er zugelassen ist, politische Überlegungen nicht berücksichtigt werden?“

Kautz: „Ich werd hier nichts aus- oder einschließen.“

Jolkwer: „Also, es kann sein, dass aus politischen Überlegungen der…“

Kautz: „Das hab ich nicht gesagt, das haben Sie gesagt.“

Jolkwer: „Aber Sie können das nicht ausschließen.“

Kautz: „Ich schließe hier nie etwas aus noch ein.“

Weitere dreieinhalb Minuten später setzt Tilo Jung erneut nach.

Jung: „Ich hab trotzdem noch mal ne Lernfrage. Alle bisherigen zugelassenen Impfstoffe, da wurden immer vor der Zulassung bereits Impfmengen, also Produktionsstoffe bestellt. Korrekt?“

Kautz: „Herr Jung, ich glaube, das Thema hatten wir gerade abgehandelt. Ich kann Ihnen nicht mehr dazu sagen, als Sie jetzt fragen wollen.“

Jung: „Wir brauchen in diesem Land und in Europa so viele Impfstoffe wie möglich. Und jetzt machen Sie es zum ersten Mal so, dass Sie erst abwarten, bevor ein Impfstoff zugelassen wird, bevor Sie riesige Mengen bestellen. Ich versteh das nicht, warum Sie ausgerechnet bei diesem Impfstoff keine… dass Sie da keine Bestellung aufgegeben haben.“

Kautz: „Herr Jung, wenn, dann sprechen wir sowieso darüber, dass in kleinen Mengen Impfstoff für Europa zur Verfügung stehen könnte. Und außerdem, im Vergleich dazu, haben wir sehr viele Impfstoffe schon gesichert.“

Jung: „Aber nicht genug.“

Kautz: „300 Millionen. Ich weiß nicht, wie viele Einwohner Sie in Deutschland rechnen.“

Doch auch ein letzter Versuch eines Kollegen bringt nichts.

Kautz: „Herr Jessen, ich hab dem nichts hinzuzufügen.“

Die Pressekonferenz als Bühne (8): Schäuble und die 100.000 D-Mark

Manchmal wird es auch für erfahrene Politikerinnen und Politiker unangenehm. Manch ein Skandal mag hinter einem liegen und als überstanden gelten, aber gelegentlich wird er doch noch mal erneut vorgeführt. Wenn es passt.

Ende Oktober 2009, einen Monat nach der Bundestagswahl, stellen die Vorsitzenden von CDU/CSU und FDP, Angela Merkel, Horst Seehofer und Guido Westerwelle, ihre Koalitionsvereinbarung vor. Zuvor war bekannt geworden, dass Wolfgang Schäuble Finanzminister werden sollte. Im Saal der Bundespressekonferenz erinnert der Berlin-Korrespondent der niederländischen Tageszeitung „De Telegraaf“, Rob Savelberg, daran, dass Schäuble Jahre zuvor in eine Parteispendenaffäre verstrickt war.

Rob Savelberg: „Frau Merkel, eine Frage von Rob Savelberg, ‚Telegraaf‘ aus Amsterdam. Sie reden heute ziemlich viel über Geld, über Finanzen auch der Bundesrepublik Deutschland. Nun wollen Sie das Finanzministerium besetzen mit einer Person, die öffentlich beteuert hat im Deutschen Bundestag, dass er einen Waffenhändler nur einmal getroffen hat und dabei vergessen hat, dass er 100.000 D-Mark von dem angenommen hat. Also: Wie können Sie so eine Person als sehr kompetent schätzen, um sozusagen die Finanzen dieses Landes hinzuzuvertrauen in der Krise. Können Sie das erklären?“

Angela Merkel: „Weil… weil diese Person mein Vertrauen hat.“

Savelberg: „Aber kann er mit Geld umgehen, wenn er vergisst, dass er 100.000 Mark in bar in seiner Schublade liegen hat?“

Merkel: „Ich hab wirklich jetzt alles gesagt dazu.“

Savelberg: „Wenn das alles ist.“

Merkel: „Wie bitte? – Ja, ich kann gerne den Satz noch mal wiederholen, aber ich hab aus meiner Sicht alles gesagt.“

Savelberg: „Aber es geht um die Finanzen von 82 Millionen Deutschen, also…“

Merkel: „Genau.“

Savelberg: „…das ist eine ziemlich große Summe, würd ich sagen.“

Merkel: „Hm.“

Weil es kein 1-zu-1-Interview war, konnte Savelberg Merkel nicht weiter mit Fragen zusetzen. Und er blieb mit seiner Frage allein. Dabei hätten ihm durchaus Kollegen beispringen können, aber sie müssten dann auf eine eigene Frage verzichten.

Die Pressekonferenz als Bühne (7): Der Stern und die gefälschten Hitler-Tagebücher

Pressekonferenzen dienen auch der Werbung. Für den 25. April 1983 lädt das Magazin „Stern“ in Hamburg zu dem ein, was sie es eine internationale Pressekonferenz nennt, um eine Weltsensation zu verkünden. Chefredakteur Peter Koch sagte:

Ich glaube schon, dass die Behauptung, die Geschichte des Dritten Reiches müsse zum Teil umgeschrieben werden, gerechtfertigt ist.

27 Fernsehteams und 200 weitere Reporter aus aller Welt kommen, um sich von Chefredakteur Peter Koch angebliche Tagebücher von Adolf Hitler vorstellen zu lassen.

Wir haben natürlich Geld investiert in diese Recherchen, viel Geld. Und ich glaube, das geschieht einfach deshalb, weil uns für die Informationen unserer Leser nichts zu teuer ist. Das ist ein Grundsatz unseres Hauses. Ein zweiter Grundsatz unseres Hauses ist, dass wir unsere Quellen nicht preisgeben. Auch auf bohrende Nachfragen werden Sie jetzt von mir nicht hören werden, wer uns die Bücher übergeben hat, und Sie werden auch nicht hören, wie viel Geld wir insgesamt investiert haben. Außerdem, ich kenne die Summe nicht.

Doch schon vor der Veröffentlichung hatte es Hinweise darauf gegeben, dass die Tagebücher gefälscht waren. Auch der Historiker Eberhard Jäckel, der zuvor bereits angeblichen Hitler-Dokumenten desselben Fälschers, nämlich Konrad Kujau, aufgesessen war, bezweifelte öffentlich die Echtheit, so dass sich Stern-Chefredakteur Peter Koch noch auf der Pressekonferenz von ihm distanzierte.

Ich möchte jetzt die Eingangsworte schließen und nur noch sagen, dass ich mich sehr gewundert habe über Fernsehdiagnosen auch so renommierter Leute wie Professor Jäckel. Wir, hätten wir uns als Journalisten die Arbeit so leicht gemacht, in der Tat, man hätte uns leichtfertigen Umgang mit den Materialien vorwerfen können.

Wer von beiden Seiten leichtfertig mit den Materialien umgegangen war, war dann knapp zwei Wochen später offiziell. Dass die Hitler-Tagebücher Fälschungen waren, wurde übrigens auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben.

Über die Pressekonferenz beim „Stern“ hat damals auch die Tagesschau berichtet, der Bericht ist hier zu sehen.

Die Pressekonferenz als Bühne (6): Das Unbehagen der Hauptstadtjournalisten mit dem twitterenden Regierungssprecher

Seit 2011 twittert Regierungssprecher Steffen Seibert. Heute eine Selbstverständlichkeit, aber als er damals sein Konto bei Twitter eröffnete, war das ein kleiner Eklat für die Mitglieder der Bundespressekonferenz. Viele fürchteten, ihren recht exklusiven Zugang zu Seibert und der Kommunikation der Bundesregierung zu bekommen. Damals entspann sich auf der Regierungspressekonferenz ein interessantes Gespräch zwischen den Journalisten und dem stellvertretenden Regierungssprecher Christoph Steegmanns, der in Seelenruhe erklärte, dass er im Twittern kein Problem sieht. An den Fragen bemerkt man auch, wie die Journalisten damit hadern, dass sie ihre Gatekeeper-Funktion jetzt auch in Bezug auf den Regierungssprecher verlieren.

Die Pressekonferenz als Bühne (5): „Es ist Deutschland hier“

2009 gehörte die FDP zu den Gewinnern der Bundestagswahl. Es war klar, dass sie zusammen mit CDU und CSU die nächste Bundesregierung stellen würde. Siegesgewiss trat Guido Westerwelle bei einer Pressekonferenz auf. Er wurde als neuer Außenminister gehandelt – wollte dann aber ausgerechnet eine Frage auf Englisch nicht beantworten.

Dass das ein Fauxpas war, war Westerwelle offenbar schon in dem Moment bewusst. Einen Tag später ging er schon etwas souveräner damit um.

Die Pressekonferenz als Bühne (4): „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort“

Eine Pressekonferenz eignet sich für diejenigen, die große Aufmerksamkeit suchen, weil sie etwa in einen Skandal geraten sind. Meistens wurde bereits in vielen Medien über sie geschrieben, per Pressekonferenz ziehen sie die Aufmerksamkeit auf ihre eigene Position und am liebsten auch gleich ihren Kopf aus der Schlinge. Je größer die Öffentlichkeit, desto besser für das Anliegen.

Legendär die Pressekonferenz des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel von der CDU am 18. September 1987. Elf Tage zuvor, kurz vor der Landtagswahl, hat das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ über angebliche „schmutzige Tricks“ berichtet, die die CDU im Wahlkampf gegen die SPD angewandt habe. Bei der Wahl verliert die CDU 6 Prozentpunkte. Am Tag danach legt der „Spiegel“ nach und zitiert Staatskanzlei-Mitarbeiter Reiner Pfeiffer: Uwe Barschel stecke selbst hinter den Aktionen gegen die SPD. Weitere vier Tage später versucht Barschel, die Vorwürfe öffentlich auszuräumen und sagte:

Heute nun, meine Damen und Herren, wende ich mich mit dieser Pressekonferenz an die deutsche Öffentlichkeit. Und in dieser Pressekonferenz gedenke ich, alles auf den Tisch zu legen. Alles, was mir bekannt ist.

Im Bemühen, jeden der Vorwürfe zu widerlegen, wiederholt Barschel diese ausführlich und bestreitet sie dann haarklein.

Ich komme nun zum Hauptteil meiner Darstellungen, nämlich der Stellungnahme zu allen mir bekannt gewordenen Vorwürfen des Herrn Pfeiffer beziehungsweise des Spiegel. Hierzu erhalten Sie im Anschluss an diese Pressekonferenz eine umfangreiche eidesstattliche Versicherung meinerseits. Und in der Anlage zu dieser eidesstattlichen Versicherung befinden sich weitere, wie ich bereits erwähnte eidesstattliche Versicherungen von Personen, auf die ich als Zeugen, wenn ich das so sagen darf, Bezug nehme, die meine Aussagen ausdrücklich bestätigen.

Barschels Eingangsstatement dauert über eine Stunde, bis er zum Schluss kommt und eine juristisch wohl unnötige, aber sich als fatal erweisende Ehrenerklärung nachschiebt.

Über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! – dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind. Ich danke Ihnen.

Die Offensive nutzt ihm höchstens kurzfristig. Später stellt sich heraus, dass Barschel gelogen hat – vor den deutschen Medien, festgehalten für die Ewigkeit. Wer sich auf Pressekonferenzen weit aus dem Fenster lehnt, stellt nicht selten fest, dass der Fall besonders tief ist. Eine Woche später kündigt Barschel seinen Rücktritt als Ministerpräsident an – auf einer Pressekonferenz.