Wie der Stadt-Anzeiger mit den Erwartungen seiner Leserschaft spielt

Wenn ein Interview im Kölner Stadt-Anzeiger mit dem Philosophen Markus Gabriel mit dieser Überschrift aufwartet:

„Man hätte nicht die Virologen fragen dürfen“

Dann klingt das so, als würde Gabriel deren Wissen und Meinung in der Bekämpfung der Corona-Pandemie ablehnen. Es ist eine Überschrift, die in jedem Fall ihren Zweck erfüllt, Lust auf das Interview zu machen. Sie ist aber auch irreführend, denn natürlich pfeift Gabriel nicht auf die Virologen. Im Wortlaut heißt es da erst gegen Ende des einseitigen Interviews:

„Man hätte von vornherein nicht die Virologen fragen dürfen, ob man die Kitas öffnen soll oder nicht. Nur medizinische Profis können uns über das Virus belehren. Ohne sie bekommen wir die nicht-moralischen Tatsachen nicht sortiert. Aber die Abwägung über das Handeln, das aus diesen Tatsachen folgt, müssen andere vornehmen und das kann auch nicht alleine auf den Schultern der Politik lasten.“

Das Zitat aus der Überschrift bezieht sich also nur auf den Aspekt der Kita-Öffnungen. Und tatsächlich heißt es in der Unterzeile:

Der Philosoph Markus Gabriel über Schieflagen in der Pandemiebekämpfung, „Covidioten“ und die Öffnung der Kitas

Die Kitas, auf die sich das Zitat im Titel bezieht, tauchen also sogar in der Unterzeile auf – aber als letztes. Liest man Überschrift und Unterzeile gemeinsam, kann man aber den Eindruck bekommen, Gabriel lehne es ab, zur Pandemiebekämpfung Virologen zu befragen. Während die Redaktion zurecht sagen kann, dass die Kitas, auf die er sich bezieht, ja direkt oben erwähnt sind.

Es ist also ein interessantes Spiel mit den Erwartungen der Leser*innen. Halten Sie die Überschrift für eine provokante Aussage eines Corona-Leugners und werden am Ende enttäuscht, dass Gabriels Aussage eher harmlos ist?

Umbenannt wegen Rassismus oder wegen Rassismus-Diskussionen?

Es gibt zwei Perspektiven, die man einnehmen kann, wenn es um die Frage geht, warum Knorr seine „Zigeunersauce“ umbenennt. Die eine ist die hier, die bild.de wählt:

Als Grund für die Umbenennung nennt die Redaktion die „Rassismus-Diskussionen“. Das scheint auch die Perspektive des Konzerns zu sein, der im Text so zitiert wird:

„Da der Begriff ‚Zigeunersauce‘ negativ interpretiert werden kann, haben wir entschieden, unserer Knorr Sauce einen neuen Namen zu geben. In ein paar Wochen finden Sie diese als ‚Paprikasauce Ungarische Art‘ im Regal.“

Da ist zwar nicht ausdrücklich von Diskussionen die Rede, aber der Konzern teilt auch nicht mit, dass er selbst den Begriff für rassistisch hält und ihn deshalb ändert, sondern wegen einer möglichen negativen Interpretation. Indirekt schiebt er damit die Verantwortung von sich selbst als demjenigen, der sich damals für den Begriff entschieden hat, weg, und den Konsumenten zu, die ihn (absichtlich oder unabsichtlich) falsch verstehen (wollen).

Die Überschrift von bild.de scheint also richtig gewählt zu sein.

Täter und Opfer werden gerne mal vertauscht

Möglich gewesen wäre aber auch ein falscher Kausalzusammenhang, wie er gerade im Zusammenhang mit dem Themenfeld immer wieder vorkommt. Da wird nämlich Ursache und Wirkung verwechselt, wie ich hier schon mal geschrieben habe. Es geht dabei auch um eine Täter-Opfer-Umkehr. Schließlich macht es einen Unterschied, ob ich sage, dass ein Mädchen wegen ihres Kopftuchs verprügelt wurde oder weil die Täter muslimfeindlich oder rassistisch sind. Im ersten Fall sucht man die Schuld beim Opfer, im zweiten Fall beim Täter.

Ähnlich in diesem Fall beim Münchner Merkur:

„Schuld“ daran, dass ein Pilot seinen Job verliert, soll seine Ehefrau gewesen sein, weil sie ihren Mann verpetzt habe. Schuld war er aber ganz allein, wie aus dem Text hervorgeht:

Auch hier wird das Opfer zum Täter gemacht: Die Frau wird mit dem Tod bedroht, ist aber schuld daran, dass der Mann seinen Job verliert. Absurd. Bildblog hat das hier ausführlicher aufgeschrieben.

Oft nur kleine Wörter

Oft sind es nur ein paar kleine Wörter, die einen falschen Zusammenhang herstellen. Wie hier im Beitrag über Homophobie in der Tagesschau vom 17. Mai 2020 (im Video ab Minute 11:46). Dort heißt es:

„Doch stattdessen wurde Detlef Rath an diesem Tag angegriffen – weil er schwul ist.“

Das ist aber nicht die Ursache des Angriffs. Nur, weil jemand schwul ist, wird er nicht angegriffen. Die Ursache liegt in der Schwulenfeindlichkeit des oder der Angreifer.

Coronakrise zwingt Medien zu Transparenz

Wie wählen Redaktionen ihre Themen aus, wie kommen Reporterinnenen an ihre Quellen? Lange haben sich Medien schwer getan, auch über ihre eigene Arbeit zu berichten. In der Coronakrise zeigen sie nun ungewohnte Einblicke. Langfristig könnte das zu mehr Vertrauen in den Journalismus führen. Mein Beitrag für @mediasres im Deutschlandfunk.

Wie Rezo reagiert: Die Kritik der Kritik der Kritik

Vor drei Wochen hat Rezo ein Video veröffentlicht, in dem er verschiedene Vorgehensweisen der Presse (ja, vor allem von Zeitungen) kritisiert hat („Die Zerstörung der Presse“).

Ich habe über das neue Video im Deutschlandfunk gesprochen. Damit hat Rezo viel Resonanz ausgelöst (wenngleich nicht so viel wie mit seiner „Zerstörung der CDU“ im Jahr 2019). Seien allgemeinen Kritikpunkte sind dabei kaum angegriffen worden, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Aber seine Analyse, wie einzelne Zeitungen über ihn selbst berichtet haben und was er daran alles falsch findet, sind dabei von eben jenen Redaktionen scharf kritisiert worden.  Unter anderem die FAZ hat sich die Kritik angesehen und ihrerseits eine Kritik der Kritik vorgelegt, unter anderem auch in einem Video.

Aus all dem hat Rezo jetzt wiederum ein Antwortvideo gemacht, das er „Die dümmsten und lustigsten Reaktionen“ nennt, das aber auch seriöse Rückmeldungen enthält.

Wie neutral können Journalist*innen sein?

Eigentlich wollte ich mich mal wieder dem Thema Neutralität im Journalismus widmen. Anlass war eine Diskussion, die in der Spiegel-Redaktion geführt und von ihr öffentlich gemacht wurde.

Auslöser dieser Diskussion war wiederum, dass der Chef der Meinungsseiten der New York Times nach einem Streit über eine abgedruckte Meinung gekündigt hatte. Dass sie das problematisch findet, hat ARD-New-York-Korrespondentin Antje Passenheim vorige Woche im Deutschlandfunk kommentiert.

Spiegel-Redakteur Philipp Oehmke kommentierte daraufhin bei spiegel.de: „Die Zeit der Neutralität ist vorbei“. Sein Kollege Florian Gathmann erwiderte darauf: „Wir müssen so neutral sein wie möglich“.

Interessanterweise schreibt Gathmann dann etwas, das der Überschrift widerspricht:

Aber es gehört zu unserer Arbeit, über die AfD zu berichten. Das kann nicht unvoreingenommen erfolgen, wenn sich ein Teil der Partei außerhalb der Grenzen des Grundgesetzes bewegt.

Das heißt, er sieht doch Anlass für eine gewisse Unvoreingenommenheit gegen Positionen außerhalb des demokratischen Spektrums. Was ich richtig finde. Denn Journalismus findet nicht im luftleeren Raum statt. Pressefreiheit ist nur in Demokratien möglich, und wenn wir die Demokratie schon nicht um ihrer selbst willen verteidigen, dann sollten wir es für die Pressefreiheit tun. Insofern ist eine bestimmte Haltung gegenüber unseren Berichtsgegenständen nicht falsch.

Den besten Text dazu hat aktuell Samira el Ouassil für Übermedien geschrieben. Gleich zu Anfang heißt es dort:

Man kann als Journalist objektiv sein – ohne neutral sein zu müssen.

Beides sind unterschiedliche Werte des Handwerks Journalismus. Und in manchen Fällen darf man gar nicht neutral in Bezug auf das zu Berichtende sein, wenn man seine journalistische Integrität bewahren möchte. Denn Journalisten sollten, um ihrem Beruf gerecht zu werden, natürlich parteiisch sein: Sie müssen immer auf der Seite der Wahrheit sein.

Denken wir beispielsweise an Korruptionsfälle. Nehmen wir mal diesen einen aktuellen um einen jungen CDU-Abgeordneten. JournalistInnen decken diesen auf und sind schon allein durch ihre Haltung „Korruption ist schlecht“ automatisch in dieser Geschichte nicht neutral, dennoch macht das ihre Berichterstattung nicht minder objektiv.

Und später konstatiert sie: „Gleiche Distanz zu allen? Funktioniert nicht.“

Das ist der Text, den ich hätte schreiben wollen, aber nicht konnte. Insofern verweise ich gerne auf Übermedien.de.

Weiterer Lesehinweis: Sonja Zekri bei sueddeutsche.de über die Illusion von Neutralität

Findet Steingarts Geschäftsmodell Nachahmer?

Selten wurde eine neue Medienmarke mit so viel Pathos eingeführt wie die von Gabor Steingart, dem früheren Chefredakteur und Herausgeber des Handelsblatts. Man beachte nur dieses Werbevideo auf Englisch für ein deutsches Medienangebot mit dem wiederum englischen Namen „Media Pioneer“. Gabor Steingarts Tochter deklamiert in schwarz-weiß in die Kamera, ihr Vater aus dem Off.

Über das Video hat neulich schon Stefan Niggemeier bei Übermedien alles gesagt, was man dazu überhaupt noch sagen kann. Oder wie er es formuliert:

Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat. Man kann es sich nicht einmal vorstellen, wenn man es gesehen hat.

Herr Steingart, das Pathos ist schon wieder leer!

Steingarts Slogan lautet: „100 Prozent Journalismus. Keine Märchen“. Beides hält er nicht ein, hat sich in den vergangenen Wochen immer wieder gezeigt. Dokumentiert hat das unter anderem der frühere Journalist und heutige Digitalberater Thomas Knüwer.

Er hatte sich im Januar vorgenommen, ein halbes Jahr die Fakten in Steingarts Newsletter „Morning Briefing“ zu überprüfen. Jetzt schreibt er: „Ich gebe auf. Ich kann nicht mehr. Es reicht. Gabor Steingart hat gewonnen.“

Ich hab mit Thomas Knüwer für @mediasres im Deutschlandfunk darüber gesprochen (Audio-Link), warum – und was man zum Geschäftsmodell Gabor Steingart sagen kann.

 

Rezo will die Presse nicht zerstören, sondern verbessern, sagt er

„Die Zerstörung der CDU“ – unter diesem Titel hat der Youtuber Rezo ja kurz vor der Europawahl ein Video veröffentlicht, das in der Union für viel Hektik gesorgt hat. Rezo selbst legte Wert auf die Feststellung, er habe zeigen wollen, wie die CDU sich selbst zerstörte.

Am Pfingstwochenende hat er dann nachgelegt mit dem Video „Die Zerstörung der Presse“.

Der Titel mag für Leute irreführend sein, die sich mit der Szene nicht auskennen. Dass er nicht zerstören will, sagt Rezo relativ am Anfang:

Ich zerstöre in diesem Video gar nix, sondern möchte Missstände herausarbeiten, um diese zu lösen. Missstände, die, wenn wir sie ignorieren würden, nicht darüber reden, genau dazu beitragen, dass das Vertrauen oder der Respekt und eben damit auch die Glaubwürdigkeit gegenüber der Presse abgebaut oder gar ganz zerstört wird. Denn ohne Vertrauen, Respekt und Glaubwürdigkeit bleibt auf Dauer nichts mehr von der seriösen Presse.

Im Deutschlandfunk habe ich heute morgen einen ersten Überblick gegeben (Link zur Dlf-Audiothek): Worum geht es Rezo? Was stört ihn? Wie aussagekräftig ist seine Fehleranalyse?

Dass Trump etwas ankündigt, was er nicht umsetzen kann, gehört schon in Teaser und Tweet

In den USA stirbt ein Schwarzer in Polizeigewahrsam, nachdem ihn mutmaßlich ein Polizist erstickt hat. Daraufhin brechen Unruhen aus. US-Präsident Donald Trump, dem gerade noch sein Kampf mit Twitter wichtiger war, beschuldigt „die Antifa“, für die Unruhen verantwortlich zu sein, und kündigt an, sie als Terrororganisation einzustufen.

„Die Antifa“ ist aber überhaupt keine Organisation, sie besteht allenfalls aus hunderten bis tausenden einzelnen Gruppen, die aber nicht formal organisiert sind. Wer ein Verbot fordert, wird das also vermutlich gar nicht umsetzen können, sondern macht lediglich PR (wenn nicht Propaganda).

Medien müssen diese Information deswegen in jedem Fall dazuliefern und dürfen nicht einfach Trumps absurde Ankündigung weiterreichen, als gehörten sie zu seinem Presseteam. Das tun sie aber immer wieder – oft, indem sie einfach nur einen Tweet zitieren oder paraphrasieren oder darum einen ganzen Artikel bauen.

Im aktuellen Fall liefern Medien diese Einordnung auch, aber nicht an entscheidender Stelle. Diese entscheidende Stelle ist nämlich nicht irgendwo im Text, sondern bereits in Überschrift oder Teaser sowie im Tweet. Fehlt die Einordnung dort, ist beides nicht mehr als PR für Trump. Diese Einordnung ist nämlich der eigentliche Journalismus, nicht das Paraphrasieren oder Zitieren seines Tweets.

Das ist wichtig, weil viele Nutzer gar nicht bis zur Einordnung lesen, sondern nur bei Überschrift und Teaser bzw. beim Tweet bleiben. Die Einordnung gehört aber dorthin, wo die Nachricht verbreitet wird, damit sie wirkt.

Deswegen ist es problematisch, wie es zum Beispiel Tagesspiegel und Mitteldeutsche Zeitung machen, die diese Einordnung nicht in ihren Tweets liefern.

Auch im Teaser des Tagesspiegels fehlt die Information:

Erst im Text kommt sie, dort immerhin im ersten Absatz, in dem es heißt:

Die USA wollen die „Antifa“ als Terrororganisation einstufen. Das kündigte US-Präsident Trump am Sonntagmittag (Ortszeit) auf Twitter mit. Weitere Einzelheiten nannte er nicht. Wie das mangels Organisationsstrukturen des losen Bündnisses funktionieren soll, blieb offen.

Die Mitteldeutsche Zeitung liefert diese Einordnung überhaupt nicht. Sie stellt sogar in der Überschrift noch eine problematische Verknüpfung her, indem sie schreibt:

Als habe der Tod von George Floyd direkt etwas mit Trumps Reaktion zu tun. Man könnte sogar denken, dass „die Antifa“, die hier nicht mal in Anführungszeichen gesetzt ist, für den Tod Floyds verantwortlich gemacht wird.

Beide Meldungen beruhen offenbar auf einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur, in der es heißt:

Die US-Regierung will die Antifa-Bewegung in Amerika als Terrororganisation einstufen. Das kündigte US-Präsident Donald Trump am Sonntag auf Twitter an. Weitere Einzelheiten nannte er nicht. Wie das mangels Organisationsstrukturen des losen Bündnisses funktionieren soll, blieb offen.

Nachtrag (01. Juni 2020, 07.15 Uhr): Dem Tagesspiegel und der Mitteldeutschen Zeitung gesellen sich auch andere Medien hinzu, darunter tagesschau.de und wdr.de.

Update (01.06.2020, 07.30 Uhr): Kollegin Nora Hespers macht noch auf einen Aspekt aufmerksam.

Diskussion unter meinem Tweet:

Disclaimer: Ich arbeite als freier Mitarbeiter für den WDR.

Die Kunst des guten Interviews – Überblick über alle Folgen

So, jetzt habe ich meine Sendung über „Die Kunst des guten Interviews“ genug ausgeschlachtet, aber es gab einfach so viel schönes Material, das ich nicht verwenden konnte oder das es wert war, noch mal ausführlich angehört und angesehen zu werden.

Hier ein Überblick über die Reihe mit Vertiefungen und Outtakes:

(1) Als Brand Nowottny auflaufen ließ

(2) Als ein BBC-Moderator zwölfmal dieselbe Frage stellte

(3) Als Hofreiter neun Minuten lang eine Frage nicht beantworten wollte

(4) Als Christine Lieberknecht mal alle Fragen egal waren

(5) Als der Moderator dem Gast erklären muss, was ein Interview ist

(6) Wie Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz haarscharf an der Frage vorbei antwortet

(7) Als Sigmar Gabriel auf 180 war

(8) Wie die FPÖ zum Großangriff auf den ORF blies

(9) Wie ein Befragter einfach schwieg

(10) Wie Roger Willemsen mal Helmut Markwort in die Ecke trieb

(11) Als sich ein Fußballer mal selbst interviewte

(12) Wie Alexander Gauland mal blank lag

(13) Wie Moderatoren gegen Framing vorgehen

(14) Blinde Flecke

(15) Warum man eine Abgeordnete fragen kann, was sie im Parlament verloren hat

(16) Wie Franz Josef Strauß Journalisten angriff

(17) Wie wichtig gutes Zuhören ist