Wo Umfragen an ihre Grenzen stoßen

Einer Befragung für den „Stern“ zufolge finden es 58 Prozent der Deutschen gut, dass Hubert Aiwanger als bayerischer Wirtschaftsminister im Amt bleibt. Aber an der Zahl gibt es Zweifel. Der Fall zeigt, woran es bei Umfragen in den Medien häufig hakt. Das habe ich im Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres erklärt.

Betroffene wollen keine Opfer sein

Häufig werden Menschen, die von Gewalt oder Belästigung betroffen sind, in den Medien als Opfer bezeichnet. Doch damit wird oft ein falsches Bild vermittelt. Denn aus der „Opfer“-Rolle wollen sich die Betroffenen – meist Frauen – gerade befreien. Habe ich für „Sagen und Meinen“ in @mediasres im Deutschlandfunk formuliert.

Ich biete keine Praktikumsstellen und sonstige Jobs an / I do not offer internships and other jobs

Mich erreichen über diese Webseite immer wieder Bewerbungen für Praktika und andere Jobs. Sie kommen meistens von jungen Bewerberinnen und Bewerbern aus Russland und anderen osteuropäischen Ländern sowie aus Indien. Es geht um Bewerbungen für medizinische und soziale Jobs. Aber: Es handelt sich dabei um eine Verwechslung. Der Arzt, an den Sie sich wenden wollen, ist vermutlich Dr. med. Stefan Fries von der Onkologischen Schwerpunktpraxis Bamberg/Forchheim. Seine Webseite findet sich hier. Bitte schicken Sie mir keine Bewerbungen!

I keep receiving applications for internships and other jobs through this website. They mostly come from young applicants from Russia and other Eastern European countries as well as from India. They are applications for medical and social jobs. It is a case of mistaken identity. The doctor you want to contact is probably Dr. med. Stefan Fries from the Oncological Focus Practice Bamberg/Forchheim. His website can be found here. Please do not send me any applications!

Falls mir jemand Hinweise darauf geben kann, warum es immer wieder zu so einer Verwechslung kommt, würde ich mich freuen. Ich habe schon mit der Praxis Kontakt gehabt, die sich auch nicht erklären kann, woher die Verwechslung kommt. Offenbar googeln die Bewerber einfach einen Namen. Dass das gelegentlich vorkommt, ist verständlich. Aber ich habe in den vergangenen fünf Jahren sicherlich rund 50 solcher Bewerbungen bekommen.

Bei jeder einzelnen antworte ich den Bewerbern, dass es sich um eine Verwechslung handelt, weil ich natürlich auch nicht möchte, dass jemand dadurch einen Job nicht bekommt. Allerdings hat noch in keinem einzigen Fall einer der Bewerber geantwortet. Das macht es sehr mysteriös.

Wie groß ist eine Fläche von 55.000 Fußballfeldern?

Wenn Medien einen Eindruck davon geben wollen, wie groß eine Fläche ist, geben sie oft eine Vergleichsgröße an. Am beliebtesten: das Saarland und Fußballfelder. Die Größe des Saarlands ist eindeutig, die eines Fußballfelds aber nicht. In @mediasres im Deutschlandfunk gebe ich Tipps, wie man Flächen besser veranschaulichen kann.

Weniger Beschwerden, weniger Rügen – Jahresbilanz des Presserats

Der Deutsche Presserat hat seine Jahresbilanz für 2022 vorgelegt. Der Rat überwacht die Einhaltung des Pressekodex, ein ethisches Standardwerk für Zeitungen, Zeitschriften und ihre Online-Ableger.

Im vorigen Jahr hat es mit rund 1.700 Beschwerden weniger davon gegeben als in den Vorjahren – sogar noch weniger als im Corona-Jahr 2020, in dem es mehr als 4.000 gab.

Über die Ergebnisse habe ich in @mediasres im Deutschlandfunk gesprochen.

Das Grauen ist jetzt Alltag: Ein Jahr Kriegsberichterstattung aus der Ukraine

Ein Jahr nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine zeigen sich bei Berichterstattern und Publikum Ermüdungserscheinungen. Darüber habe ich im Medienpodcast „Nach Redaktionsschluss“ mit ARD-Korrespondentin Rebecca Barth, Dlf-Redakteur Thielko Grieß und Marcus Maurer von der Uni Mainz diskutiert.

Vorab habe ich in den „Informationen am Morgen“ im Deutschlandfunk eine kurze Bilanz der Berichterstattung seit Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 gezogen.

Wenn Journalisten nichts mit Umfragen anfangen können, aber selbst welche in Auftrag geben und veröffentlichen

Darüber hat Stefan Niggemeier bei Übermedien geschrieben – mit dem schönen Titel: „Umfrage unter „Bild“-TV-Teilnehmern belegt: Keiner versteht was von Umfragen“. Was nicht mal ein Einzelfall ist, auch wenn sie ihre Unkenntnis normalerweise nicht so offen zur Schau stellen. Dummerweise gibt die Bild auch selbst Umfragen in Auftrag – mit eben jenem Umfragedesign, das hier von Bild-TV-Teilnehmern beklagt wird.

Wie Richard David Precht und Harald Welzer sich Meinungen machen

Zu ihren Thesen und wie die Autoren sie in der Öffentlichkeit vertreten, ist an anderer Stelle schon einiges geschrieben worden. Ich verweise exemplarisch auf Andrej Reisin und Nils Minkmar bei Übermedien und Harald Staun in der FAZ.

Ich möchte in diesem kurzen Artikel einen Blick darauf werfen, wie Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem Buch „Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist.“ mit Umfragen umgehen – einfach nur anhand ihres ersten Kapitels.

Um zu zeigen, dass die Mehrheitsmeinung von den von ihnen sogenannten Leitmedien „gemacht wird“, brauchen sie natürlich einen Referenzpunkt: Was ist denn die eigentliche Mehrheitsmeinung – also die nicht gemachte, die der Bürger? Die Antwort sehen sie in Umfragen. Das ist naheliegend und durchaus denkbar, allerdings müssen sie die Umfragen auch einer Quellenkritik unterziehen, also daraufhin überprüfen, ob durch sie wirklich in Erfahrung gebracht werden kann, was Auftraggeber und Umfrageunternehmen behaupten.

Unkritischer Umgang mit Umfragen

Dabei fällt schon in der Einleitung auf, dass Precht und Welzer relativ unkritisch mit den Umfragen umgehen. Das zeigt sich schon daran, wie wenig sie Auftraggeber und durchführendes Unternehmen unterscheiden können. So schreiben sie etwa auf Seite 8:

Von über 4000 im Jahr 2022 von RTL / ntv repräsentativ befragten Bürgerinnen und Bürgern gaben nur noch 46 Prozent an, sie hätten »Vertrauen in die Presse«.

Dabei haben natürlich nicht RTL und n-tv die Bürgerinnen und Bürger befragt, sondern vermutlich ein Umfrageunternehmen. Folgt man der angefügten Fußnote, so führt ein Link auf das Statistikportal Statista, das die Umfragedaten vorhält. (Das wäre im Übrigen so, als würde man auf einen Wikipedia-Artikel verlinken statt auf die dort aufgeführten Originalquellen.) Als Quelle gibt Statista „RTL (RTL/n-tv-Trendbarometer)“ an, das Umfrageunternehmen ist dort nicht erwähnt.

(Screenshot: statista.de)

Erst wenn man sich mit einem bezahlten Account von statista.de einloggt, bekommt man weitere Angaben zur Quelle, auch dazu, wer die Umfrage durchgeführt hat, nämlich Forsa.

(Screenshot: statista.de)

Dort hätte man mit einem Klick („Herkunftsverweis“) auch die ursprüngliche Quelle finden können, nämlich eine Pressemitteilung von RTL Deutschland. Eine Recherche, die für das Buch offenbar nicht gemacht wurde.

Allerdings finden wir weder bei Statista noch im Presseportal Angaben dazu, wie die Daten zustandegekommen sind. Denn bei jeder Umfrage sind Fragestellung und Antwortmöglichkeiten entscheidend. (Deshalb verlangt der Pressekodex in Richtlinie 2.1, an den RTL freilich nicht gebunden ist, immerhin die Angabe der Fragestellung.) Statista schreibt dort selbst:

Die Quelle macht keine genauen Angaben zur Fragestellung. Die hier gewählte Formulierung kann daher gegenüber der Befragung leicht abweichen.

Nur wenige Sätze später wird dieser angeblich von RTL/n-tv durchgeführten Umfrage eine weitere gegenübergestellt, die von Forsa durchgeführt worden sei. Womit also verschleiert wird, dass es nacheinander um gleich um zwei Forsa-Umfragen geht. Hier konnten die Autoren offenbar im angeführten Link auf das christliche Medienmagazin „Pro“ leichter erkennen, dass Forsa das Umfrageunternehmen ist, die TU Dortmund wiederum der Auftraggeber.

Vage Zahl dient als Beleg, dabei ginge es klarer

Aus der anschließend erwähnten Umfrage von infratest-dimap über die Glaubwürdigkeit der Medien von 2015 (die wiederum nur unzureichend verlinkt ist, hier der zielführende Link), zitieren die Autoren nur die am wenigsten aussagekräftige Zahl:

Schon 2015 verzeichnete eine Umfrage von Infratest / Dimap im Auftrag des WDR 42 Prozent Befragte, die deutsche Medien für »nicht glaubwürdig« halten.

Nur in der am Ende des Buches (rund 260 Seiten später) stehenden Fußnote räumen sie ein, dass

die Einzelwerte für Radio, Fernsehen und Print
deutlich positiver ausfallen und die 42 Prozent auch
deshalb zustande kommen, weil die Privatsender, das
Internet und die Boulevardpresse mit abgefragt wurden.

Das ist aber keine Petitesse, weil hier nicht sortenrein Kategorien abgefragt wurden, wie auch eine Grafik von infratest-dimap zeigt:

(Quelle: infratest-dimap.de)

Während öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen Mediengattungen sind, ist das Internet ein technischer Verbreitungsweg. Nach dem Online-Angebot redaktioneller Medien wurde hier ja nicht gefragt. Boulevardpresse wiederum gibt es auch im Bereich der Tageszeitungen.

Lässt man also die beiden irreführenden bzw. uneindeutigen Kategorien weg, liegen alle Werte deutlich höher als 42 Prozent. Eine Quellenkritik, die die Autoren unterlassen haben.

Solche Zahlen sind alarmierend.

Schreiben die beiden nach der Auflistung dieser und weitere Umfragedaten. Aber nur für denjenigen, der sich alarmieren lässt. Und der die Zahlen als Fakt hinnimmt, anstatt sie aufgrund der Unzuverlässigkeit von Umfragen im Allgemeinen selbst zu hinterfragen.

Vielleicht ist es möglich, mit den zitierten Umfragen die Thesen der beiden belegen, aber die Art und Weise, wie sie das hier tun und wie stark sie einer zweifelhaften Quellengattung vertrauen, wirft Fragen auf.

Medien: Fähig zur Kritik in eigener Sache?

Journalistinnen und Journalisten können eins sehr gut: andere scharf kritisieren. Was viele nicht gut haben können: kritisiert zu werden. Dabei ist Kritik- und Einsichtsfähigkeit ein wesentliches Element, damit das Publikum Medien als vertrauenswürdig wahrnimmt, habe ich für die WDR5-Politikum-Medienkolumne notiert.