welt.de übernimmt ARD-Inhalte für eigene Webseite

Ein ARD-Journalist schreibt einen Kommentar – und Medien des Springer-Verlags drehen fast durch. So geschehen am Montag.

Da hat Malte Pieper, Hörfunk-Korrespondent in Brüssel, in einem Kommentar den Rücktritt von Bundeskanzlerin Merkel gefordert. So weit, so unspektakulär; das Kommentieren von Politik und Zeitgeschehen gehört schließlich zum journalistischen Alltag. bild.de und auch der gedruckten „Bild“ von heute war das jedoch einige Aufregung wert. Wie falsch die „Bild“ die Sache darstellt, hat Moritz Tschermak hier im Bildblog aufgeschrieben.

Und Klaus Raab hat sich bei Übermedien etwas grundsätzlicher mit dem Eifer auseinandergesetzt, mit dem die Springer-Medien gegen den Kommentar vorgehen und auch Bild-Chefredakteur Julian Reichelt sich mit ARD-Journalistinnen beschäftigt. Raab schreibt dort auch:

Bemerkenswert ist weniger die Dreistigkeit, den Kommentar eines nicht zum eigenen Verlag gehörenden Journalisten online hinter der Paywall zusammenzufassen, also dafür Geld zu nehmen, sondern vielmehr, dass „Bild“ ihn auch noch falsch ankündigt: „Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Rücktrittsforderung! Ta-ta-Ta-ta-ta-taaaa!“, lautete der erste Satz des „Bild“-Texts.

Dabei sind die Bild-Medien sogar noch zurückhaltend gewesen. Denn auch dem Schwestermedium welt.de war der Kommentar einen Bericht wert. Und auch die Kollegen dort verhalten sich etwas merkwürdig und titeln ähnlich irreführend wie die Bild-Kollegen:

„ARD-Journalist fordert Merkels Rücktritt“

Warum dieser eine von täglich vielleicht einem Dutzend Kommentaren in den 64 Radioprogrammen von ARD, ZDF und dem Deutschlandradio (allein im Deutschlandfunk laufen werktäglich drei) welt.de einen eigenen Artikel wert ist, schreibt „jr“ (so das Kürzel unter dem Artikel) nicht deutlich.

Zumal der Artikel noch viel mehr als der bei bild.de über weite Strecken eine Art Plagiat des Original-Kommentars ist, also gar keine inhaltliche Auseinandersetzung damit stattfindet. Die Argumentation wird über große Strecken wörtlich und in Anführungszeichen übernommen, an anderen Stellen wird in indirekter Rede paraphrasiert.

Wie großflächig die Übernahme war, habe ich hier markiert. Das sind alle Stellen aus dem ARD-Kommentar, die sich entweder direkt oder indirekt bei welt.de finden.

Die Gegenprobe zeigt, dass der welt.de-Artikel nach einer Einleitung nur aus dem paraphrasierten oder wörtlich zitierten tagesschau-Kommentar besteht. Die Übernahmen sind gelb zitiert.

Nun ist es üblich, dass Journalisten sich auf die Arbeit von Kollegen berufen und fremde Erkenntnisse in eigene Artikel und Beiträge einarbeiten. Dass aber ein einziger Kommentar eines Autors, in dem noch nicht mal etwas Neues steht, praktisch zu einem anderen Kommentar umgearbeitet wird, ist ungewöhnlich.

Sieht so die Einigung zwischen Verlegern und öffentlich-rechtlichen Sendern aus, was das deren Online-Angebot angeht? Ein ARD-Korrespondent schreibt einen Kommentar, den dann anschließend welt.de fast vollständig übernimmt? Denn angesichts der Tatsache, dass vor allem Springer-Chef Mathias Döpfner die öffentlich-rechtlichen Sender immer wieder als „Staatsfunk“ bezeichnet hat, die durch Rundfunkgebühren bezahlt werden, ist es interessant, dass sich hier die welt.de-Redaktion an rundfunkbeitragfinanzierten Inhalten vergreift und diese wieder werbefinanziert an ihre Nutzer ausspielt.

Es scheint sich einzureihen in eine Reihe von neuen Attacken gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Haben die Redaktionen noch nicht mitbekommen, dass Döpfner inzwischen mit den ÖR-Chefs die Friedenspfeife geraucht hat?

Keine eindeutige Mehrheit für CSU-Politik – Spiegel online interpretiert das aber anders

Die Überschrift ist natürlich ein Eyecatcher:

Mehrheit will CSU-Politik – aber mit Merkel als Kanzlerin

titelt Spiegel online. Der Text gibt das aber gar nicht her. Warum nicht?

Die Überschrift suggeriert, es gebe eine Mehrheit, die die CSU-Politik will und gleichzeitig Merkel als Kanzlerin. Darin liegt natürlich ein Widerspruch angesichts des derzeitigen Streits zwischen CDU und CSU, in dem ja ausgerechnet die CDU-Politikerin Angela Merkel die Position der CSU in der Migrationspolitik ablehnt.

Darin liegen aber zwei Fehldeutungen: Zum einen wurde gar nicht explizit nach der CSU-Politik gefragt, sondern nach verschiedenen Aspekten, die durchaus unterschiedlich beurteilt wurden. Zum anderen handelt es sich nicht um eine deckungsgleiche Mehrheit von Menschen, die beides gleichzeitig wollen, sondern um eine Mehrheit für die CSU-Politik einerseits und um eine Mehrheit für die Kanzlerin andererseits.

Zahlen geben keine Mehrheit für CSU-Politik her

Erst mal zu Punkt 1: Die Redaktion leitet ihre Zusammenfassung, was CSU-Politik ist, aus Antworten zu verschiedenen Fragen ab: einmal 57 Prozent, die für einen erschwerten Zugang von Flüchtlingen nach Deutschland sind, einmal 61 Prozent, die genau wie die CSU Flüchtlingen an der Grenze zurückweisen wollen, die schon in einem anderen EU-Land registriert wurden. Wichtiges Element der CSU-Politik ist aber auch die Frage, ob Deutschland versuchen sollte, die Flüchtlingsproblematik eher auf nationaler Ebene oder gemeinsam mit den EU-Partnern zu lösen. Da teilen nur 25 Prozent die CSU-Linie, die Frage solle national gelöst werden; 68 Prozent sagen, dass dies nur auf europäischer Ebene möglich ist – was wiederum die Position Angela Merkels ist.

In zwei von drei Aspekten der CSU-Politik gibt es also eine Mehrheit, bei einem wichtigen Aspekt aber nicht. Daraus schlusszufolgern, eine Mehrheit sei für die CSU-Politik, wo es zumindest Widersprüche gibt, finde ich nicht zulässig.

Mehrheit für CSU-Politik und Merkel ist nicht deckungsgleich

Jetzt zum anderen Aspekt: Auf die Frage, ob Merkel Bundeskanzlerin bleiben soll, antworten 58 Prozent mit Ja – also in derselben Bandbreite wie bei den ersten beiden Fragen. Da liegt es nahe, zu denken, dass das fast dieselbe Gruppe sei wie die, die die CSU-Positionen unterstützen.

Das muss aber nicht so sein und lässt sich zumindest an dem veröffentlichten Zahlenmaterial nicht ablesen: Von den 58 Prozent für Merkel können rechnerisch 43 Prozentpunkte gegen einen erschwerten Zuzug sein – dann wären nur die übrigen 15 Prozentpunkte sowohl für eine CSU-Position als auch für Merkel. Der Widerspruch wäre also längst nicht so groß wie von Spiegel online suggeriert.

Interessant in dem Zusammenhang ist die Reihenfolge, in der Spiegel online die Ergebnisse präsentiert: zunächst die beiden Mehrheiten für CSU-Positionen, dann die Mehrheit für Merkel, dann eine Mehrheit gegen eine CSU-Position. Hätte man die Ergebnisse zu CSU-Positionen zusammen präsentiert, wäre der Widerspruch aufgefallen – aber die Überschrift nicht mehr möglich gewesen.

Umfragedesign transparent gemacht

Um zum Schluss zu loben: Spiegel online hat transparent (und ohne Nachfrage) das Umfragedesign offengelegt, also mitgeteilt, wann wie viele Leute befragt wurden, ob die Umfrage repräsentativ ist und wie Fragestellung und Antwortmöglichkeiten lauteten. Ohne diese Angaben, die größtenteils vom Pressekodex gefordert werden, hätte ich die Aussagekraft dieser Umfrage nämlich gar nicht auf diese Weise einschätzen können.

VIVA wird abgeschaltet: „Die große Ära des Musikfernsehens ist vorbei“

Es sollte der deutschsprachige Gegenentwurf zu MTV sein: VIVA war in den 90er-Jahren Kult in Deutschland. Doch das Konzept vom Musikfernsehen hat sich inzwischen überlebt, meint der ehemalige VIVA-Geschäftsführer Dieter Gorny im Deutschlandfunk. Ich hab mit ihm für @mediasres gesprochen.

Urheberrecht und Uploadfilter: Keiner profitiert von diesem Gesetz

Noch ist das freie und offene Internet nicht am Ende. Es hängt jetzt davon ab, ob Parlamentarier, Kommission und Staats- und Regierungschefs einsehen, wie stark sie das Netz mit dem neuen Urheberrecht strangulieren würden. Mein Kommentar für den Deutschlandfunk.

Endet journalistische Arbeit am Twitter-Handle?

Seit dem Wochenende beharken sich Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und ein paar Kollegen. Ist bei Reichelt nichts Neues und das allein nun keinen Blogpost wert. Interessant ist aber die Frage, um die es geht.

Im Kern lautet sie: Dürfen Journalisten Tweets mit umstrittenem oder sogar falschem Inhalt einfach so retweeten, ohne sie zu kommentieren?

Das ist natürlich keine juristische Frage, sondern eine ethische – oder sagen wir es etwas tiefer gehängt, eine Frage des journalistischen Handwerks. Die von Reichelt anders beantwortet wird als von seinen Gegnern in der Frage.

Es geht natürlich um Donald Trump und diesen Tweet:

Mindestens die Aussage

Crime in Germany is way up

ist ja ausweislich der polizeilichen Kriminalstatistik (mit all ihren Tücken) falsch, weil die Kriminalität auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren ist. Also eine falsche Aussage – oder angesichts des Informationsstandes, die ein Präsident bei solche einer Aussage haben sollte: gelogen. Eine Aussage, die auch Reichelt retweetet hat – was ihm unter anderem die Kollegen vom Bildblog vorwerfen.

Tatsächlich ist das ja eine interessante Frage, die unser grundsätzliches Berufsverständnis betrifft: Leiten wir Botschaften von öffentlichen Akteuren einfach nur weiter oder ordnen wir sie ein?

In unserer täglichen Arbeit in unseren Medien sollte es selbstverständlich sein, dass wir kein reines „He said, she said“ betreiben und gegeneinanderstellen, sondern Aussagen einordnen und aufklären: Stimmt überhaupt, was Politiker A behauptet? Steht die Aussage von Politiker B im Widerspruch zu früheren Aussagen? Welche Position vertritt die Partei von Politiker C im Vergleich zu ihm? Ist die Position von Politiker D im Kreis derjenigen, die entscheiden, mehrheitsfähig? All das kann eine Einordnung sein, ohne dass man damit die ursprüngliche Aussage verfälscht. Aber nur weiterleiten – das ist die Aufgabe von PR-Agenturen und Pressesprechern.

Sollten diese Regeln aber nun auch für Journalisten auf Twitter gelten? Schließlich sind sie ja hier gerne „privat“ unterwegs, wie es in der Twitter-Bio oft heißt. Was natürlich eine Illusion ist, schließlich wird man als öffentliche Person auch in diesem Kontext so wahrgenommen. Und entsprechend twittern die meisten auch: in der Regel beruflich orientiert, mit Verweisen auf eigene Artikel und die von Kollegen, auf Recherche und in Diskussionen miteinander. Natürlich zahlt der Auftritt bei Twitter auch auf die eigene Marke ein.

Insofern ist die Frage nicht unberechtigt, ob man sich auch beim Twittern an journalistische Standards halten sollte. Ich halte es im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit für angebracht und bei manchen Inhalten, die man weiterleitet oder auf die man hinweist, auch notwendig. Mindestens zwangsläufig einseitige Äußerungen wie etwa von Politikern, Unternehmen und NGOs sollte man einordnen, vor allem, wenn sie umstrittenen Inhalts sind. Tweets von Donald Trump gehören unbedingt dazu.

Und der hier gemeinte Tweet mehr als andere, da Trump hier offensichtlich Lügen verbreitet. Wer so etwas unkommentiert retweetet, hilft dabei, diese Lüge weiterzuverbreiten. Wie schädlich sie für den demokratischen Diskurs und letztlich auch die Demokratie sind, ist an anderer Stelle schon ausführlich diskutiert worden.

Nichts anderes besagt die Kritik an Julian Reichelt. Dass er sich von Kritik bereits zensiert fühlt, ist freilich sein Problem. Spannend ist die zugrundeliegende Frage schon.

15 Milliarden D-Mark unter tausenden Tonnen Beton

Logo am Eingang des Bunkers (Foto: Stefan Fries)

In Cochem an der Mosel entstand Anfang der 60er-Jahre ein Bunker, dessen eigentlicher Zweck rund 30 Jahre geheim war. Dort lagerte die Bundesbank eine Ersatzwährung für den Notfall im Wert von 15 Milliarden D-Mark. Heute kann der Bunker besichtigt werden – eine Reise in die Zeit des Kalten Krieges. Mein Beitrag für den Sonntagsspaziergang im Deutschlandfunk – dort zum Nachhören und Nachlesen.

Blick in den Versorgungsturm am Ende der Bunkeranlage (Foto: Stefan Fries)

Das (un)zuverlässige Zitat

Über die Satireaktion der Titanic von Freitag ist schon viel geschrieben worden. Ja, es war Satire. Ja, das Ziel war wohl, aufzudecken, wie unseriös in manchen Redaktionen gearbeitet wird. Ja, das liegt nicht nur an den einzelnen Journalisten, sondern auch an Arbeitsverdichtung und personeller Unterbesetzung. Geschenkt.

Ich finde einen Aspekt entscheidend, der mich gerade noch in anderer Hinsicht beschäftigt: Es geht um das mitgelieferte Zitat, das Titanic-Redakteur Moritz Hürtgen bei seinem Tweet mitgeliefert hat.

Es kommt nämlich als Bildkachel daher. Eine mittlerweile ziemlich beliebte Form, ein Zitat zu vertwittern – beliebt nicht nur bei Journalisten, sondern auch bei PR- und Presse-Abteilungen. Mehr als das Zitat selbst wird dabei in der Regel nicht mitgeliefert, sondern einfach eine Aussage in die Welt gesetzt, die dann ihre Wirkung entfalten soll.

Versehen mit dem Logo des Hessischen Rundfunks (wenn auch als Fake erkennbar an der nicht existierenden Redaktion „Tagesgeschehen“) verbreitet die Kachel offenbar genug Glaubwürdigkeit, um zumindest ein paar Medien in die Irre zu führen.

Problematisch finde ich die Kacheln eher, weil sie populistische Aussagen unterstützen. Indem einfach besonders knallige, weil prägnante Zitate in die Welt gebracht werden – per Twitter, Facebook usw. – ohne journalistische Einordnung, machen sich Journalisten damit zu nichts anderem als eine Social-Media-Abteilung des Politikers oder der Partei. Doch dazu später mal mehr.

Warum sind die Rechten so hip im Netz?

Darüber hat die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig auf der Republica gesprochen. Sie erklärt, warum Hass und Hetze im Netz besonders stark verbreitet sind und warum rechtspopulistische Parteien wie AfD und FPÖ besonders erfolgreich sind.

Brodnig schlägt auch Lösungen vor, wie man Hass und Hetze im Netz begegnen kann. Sie verweist auf die sogenannten Reactions bei Facebook, bei denen man auf „Like“ klicken kann oder auf Emojis wie Wut. Sie fordert, zum Beispiel einen Knopf mit „Respekt“ einzuführen. Damit könne man eine fremde Meinung anerkennen, ohne sie sich zu eigen zu machen. Das verändere die Diskussionskultur. Sie wirft die Frage auf, wie Technik designet sein kann, wenn wir das Beste des Menschen sichtbar machen wollen.

Rechte sind nach Brodnigs Ansicht im Netz besonders fleißig. Die Gegner von Rechtsextremismus vertrauten allerdings sehr oft darauf, dass sich das bessere Argument durchsetzen werde. „Mit Fakten alleine gewinnt man leider keine politischen Diskussionen“, hat Brodnig festgestellt. Selbst wenn man eine emotionale Behauptung mit Fakten konfrontiere und diese Fakten geglaubt würden, wirke das emotionale Narrativ dennoch weiter. Neben Fakten brauche man also auch eine überzeugende Erzählung, die die etablierten Parteien eher nicht lieferten.

Was ist ein Influencer?

Auf der letzten Republica hat sich Sophie Passmann Influencer vorgenommen – also Menschen, die laut Wikipedia

die aufgrund ihrer starken Präsenz und ihres hohen Ansehens in einem oder mehreren sozialen Netzwerken für Werbung und Vermarktung in Frage kommen (Influencer-Marketing).

Passmann räumt ein, dass sie vielen Definitionsmerkmalen entspreche, einem aber nicht: sie mache keine Werbung und kein Marketing mit ihrer Präsenz. Aus ihren Beobachtungen hat sie vier Lektionen gelernt:

Authentizität ist überflüssig.

Es gehe nicht darum, als Influencer sein echtes Leben auszustellen. Auf Authentizität komme es also nicht an.

Coolness ist die Währung.

Wer cool sei, dem verzeihe man auch Fehler.

Der Algorithmus ist King.

Gute Influencer laden Passmann zufolge Fotos immer zur selben Zeit hoch, weil der Algorithmus eine solche Regelmäßigkeit belohne, ebenso wie Interaktionen innerhalb der ersten Stunde. „Influencing ist auch Algorithmus-Nutte sein“, so Passmann.

Integrität ist tot.

Jeder mache Werbung für alles. Wer davon lebe, könne es sich nicht erlauben, jede Werbeanzeige abzuweisen. Die Influencer könnten sich also nicht erlauben, ein Produkt auch mal nicht anzunehmen. Der Kern des Influencing sei kommerziell – nicht politisch, nicht kulturell, nicht unterhaltend usw.

Wer sich den ganzen Vortrag ansehen möchte, hier gibt es ihn: