Eine Umfrage, die nichts aussagt, aber Stimmung macht

Wenn Sie abstimmen müssten, ob sie lieber einen Apfel oder eine Banane haben wollen, wie würden Sie sich entscheiden?

Stellen Sie sich vor, ich sage Ihnen, dass die Banane relativ viel Zucker enthält und leicht zu Verstopfung führen kann, während der Apfel wenige Kalorien hat und sehr gesund ist: Wie würden Sie sich jetzt entscheiden?

Die Fragestellung bei einer Umfrage ist enorm entscheidend für das Ergebnis. Die Kognitionsforscherin Elisabeth Wehling beschreibt es so:

Umfragen nutzen oft die falschen Wörter. Wörter nämlich, die im Gehirn des Antwortenden ideologisch selektive Deutungsmuster aufrufen. Wörter, die damit seine Positionierung zu einem Thema entscheidend mit vorgeben. Befragt man Bürger zur Migrationsbewegung, so sprechen sie sich eher dafür aus – spricht man sie aber auf die Migrationswelle an, sind sie stärker dagegen. Und zwar bei identischer Faktenlage!

Wichtig ist aber auch der Kontext der Umfrage: Welche Informationen gebe ich, bevor ich meine Frage stelle? Gerd Bosbach, Professor für Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz, sagte mir für ein Interview:

Wenn ich eine Stimmung abfrage und versetze Sie über die Fragen vorher in eine nette Atmosphäre – ich frag Sie über Urlaub – dann sind Sie in einer guten Stimmung. Wenn Sie dann eine Stimmungsfrage bekommen zum Beispiel zu einer Regierung bekommen, dann werden Sie sich wahrscheinlich anders verhalten, als wenn ich sie vorher in schlechte Stimmung – wieviel Steuern zahlen Sie, wie ist das in der letzten Zeit gewachsen, wieviel Geld fehlt Ihnen? In dem Augenblick sind Sie nachher sauer, und wenn Sie sauer sind, werden Sie auf eine Stimmungsfrage ganz anders reagieren.

Ich habe hier schon öfter gezeigt, wie suggestiv die Fragestellung bei Umfragen sein kann. Neulich geriet mir aber eine besonders voreingenommene Fragestellung ins Postfach.

Das Umfrageunternehmen Civey fragte, wieviel die Leute bereit wären, für öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu bezahlen, und leitet das mit diesen Vorbemerkungen ein:

Also zusammengefasst: „unabhängig von der Nutzung“, „Kritik“, „Klagen“, „Verfassungsbeschwerden“, „unrechtmäßig“, „verstößt gegen Gleichheitssatz“. Ausschließlich Argumente gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und jetzt sagen Sie mal bitte, wie viel Sie monatlich zahlen würden?

Zum Stand der Veröffentlichung dieses Blogbeitrags sagten 40,4 Prozent, sie würden „nichts“ bezahlen wollen, 13,7 % zwischen 1 und 5 Euro, 18,7 % zwischen 6 und 10 Euro.

Überrascht Sie das Ergebnis?

Mit der Kritik konfrontiert, verweist Civey auf Hintergrundinformationen, wie sie statistische Unsicherheiten vermeiden:

Das heißt: die Stimmen, die wir über unseren Newsletter generieren, werden für die Frage, die wir im Newsletter versenden, kaum berücksichtigt, damit wir eine suggestive Beeinflussung durch den Kontext vermeiden. Wichtig sind die Stimmen auf „empfohlene Umfragen“.

Wenn Sie die Umfrageergebnisse verfolgen, werden Sie daher sehen, dass der statistische Fehler noch sehr hoch bleibt, solange vor allem Direkt-Votes auf der Umfrage sind. Daher sind manche unserer Umfragen, selbst mit mehreren tausend Abstimmungen, noch nicht repräsentativ.

Das heißt: Nutzer werden per Newsletter dazu aufgerufen, an einer Umfrage teilzunehmen, deren Stimmen werden dann aber kaum berücksichtigt? Das erscheint mir nicht sonderlich plausibel. Civey schreibt dazu (nachzulesen im obigen Twitter-Thread):

Mit dem Newsletter präsentieren wir unserem Panel in der Regel ein tagesaktuelles Thema, zu dem wir eine neue Umfrage erstellt haben. Auch beim Newsletter gilt allerdings: für das System wichtig sind vor allem die Stimmen, die die Nutzer auf weitere Umfragen tätigen. (1/2)

So wird die Frage, die wir im Newsletter ausspielen, auch auf den anderen der rund 25.000 Webseiten ausgespielt, die unsere Umfragen täglich einbinden. Durch diese Votes wird sie dann schließlich repräsentativ. (2/2)

Der Newsletter lässt meist leider (auch aufgrund der gebotenen Kürze) keine umfassende Betrachtung eines Themas zu. Wir bemühen uns aber in der Regel um eine nicht allzu einseitige Formulierung und werden uns dies auch in Zukunft zu Herzen nehmen. Danke für das Feedback!

Und selbst wenn der Großteil der Stimmen in einem kontextfreien Umfeld erhoben wurde, kommen mir die als repräsentativ ausgewiesenen Ergebnisse nicht sonderlich plausibel vor. Etwa wegen der Fragestellung:

Wie viel würden Sie monatlich pro Haushalt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezahlen, wenn Sie selbst entscheiden könnten?

Bedeutet die Antwort „Nichts“, dass die Antwortenden gerne einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk hätten, dafür aber nichts bezahlen wollen? Das wäre nicht realisierbar. Oder bedeutet das, dass die Antwortenden überhaupt keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk möchten, wenn sie dafür bezahlen müssten? Das widerspricht wiederum andere Umfragen, nach denen es eine Mehrheit für den Erhalt des Systems gibt. Oder würden sie für weniger Geld auch weniger Programm akzeptieren?

Ein verwertbares Ergebnis bringt diese Umfrage also nicht. Das hätte man sich aufgrund der Fragestellung, der Kontextualisierung und der Antwortoptionen aber vorher denken können. So bleibt die Frage offen, welchen Zweck die Umfrage überhaupt noch hat. Mir fallen nur zwei mögliche Antworten ein: Entweder wurde sie gedankenlos erstellt, oder man wollte damit Stimmung machen.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie durch Links ersetzt.

Pörksen bestreitet Theorie der Filterblase und spricht stattdessen von Filter Clash

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen glaubt nicht, dass Eli Parisers Theorie von der Filterblase stimmt. Dieser hatte 2011 geschrieben, dass Algorithmen versuchten herauszufinden, welche Informationen die Benutzer finden möchten – und entsprechend alles aussperre, was nicht dem Standpunkt des Benutzers entspreche (so die Zusammenfassung der Wikipedia).

Auf der Digitalkonferenz Republica erklärte Pörksen, warum er nicht an diese Theorie glaube. Er zieht dazu den Fall Lisa heran. Dabei sei ein Zwiegespräch zwischen Mutter und Tochter weiter kolportiert worden, bis sich auch russische Staatsmedien, russische Politiker und der deutsche Außenminister eingeschaltet hätten. Pörksen weiter:

Die Geschichte wandert gleichsam durch alle unterschiedlichen Ebenen, und es kommt zum Filter Clash. Unterschiedliche Parallelöffentlichkeiten, unterschiedliche Bestätigungsmilieus prallen in radikaler Unmittelbarkeit aufeinander. Eben das meint Filter Clash.

Pörksen verweist darauf, dass es heute so viel Einblicke in andere Lebenswelten gebe wie selten. Im Netz könne man sich genauso über das Leben der Superreichen wie über das Leben der sehr Armen informieren. Es gebe nur noch geringe Möglichkeiten, dem auszuweichen. Pörksen spricht von der „Transparenz der Differenz“.

Die Transparenz der Differenz erzeugt – wäre meine These- gesellschaftlich gesprochen eine Art verstörende Gleichzeitigkeit des Seins, einen Schock der gleichzeitigen Informationen, die doch unvereinbar sind.

Im Programm der Republica wird der Vortrag so angekündigt:

Was prägt das Kommunikationsklima der vernetzten Welt? Die Kernthese: Wir leiden nicht unter der Filter Bubble und der algorithmischen Personalisierung, sondern unter dem Filter Clash, dem Aufeinanderprallen höchst unterschiedlicher Wahrnehmungen und Weltbilder in digitalen Netzwerken. Relevantes, Berührendes, Banales und Bestialisches, Bilder der Armut und des obszönen Reichtums – all das ist nur einen Klick voneinander entfernt. Analytisch und anekdotisch wird gezeigt: Der Filter Clash erzeugt Aufruhr und Gereiztheit, schockiert und mobilisiert.

Jan Böhmermanns „Reconquista Internet“: Bürgerrechtsbewegung aus Versehen

Jan Böhmermann hat mit „Reconquista Internet“ eine erfolgreiche Initiative gegen Hass und Hetze im Netz ins Leben gerufen, die auch offline wirkt. Doch daran gibt es auch Kritik. Darüber habe ich heute für @mediasres im Deutschlandfunk berichtet.

Republica: Canceln wir die Apocalypse?

„Cancel the Apocalypse“ ist ein Ziel der Re:publica. Nach viel Negativem über die digitale Welt wie Überwachung, Datenklau und Internet- Trolle wollte die Republica eine positive Utopie für eine digitale Gesellschaft entwickeln. Für das WDR5-Medienmagazin „Töne, Texte, Bilder“ habe ich mich auf die Suche nach den guten Seiten des Internets begeben. Hier gibt es den Beitrag zum Nachhören – und hier zum Lesen:


Was schlecht läuft, steht in der Regel stärker im Fokus als das, was gut läuft. So ist es auch bei der Digitalisierung, findet Republica-Mitgründer Markus Beckedahl:

Veränderung erzeugt immer in Teilen der Gesellschaft Ängste, und man hat häufig das Gefühl, gesellschaftliche Debatten oder mediale Debatten, die vor allem von älteren Menschen geführt werden, haben immer die Angst als Schwerpunktthema.

Schon in den letzten Jahren sei es auf der größten deutschen Digitalkonferenz Republica immer auch um die positiven Aspekte gegangen, sagt Beckedahl, die habe man diesmal aber besonders in den Fokus gerückt. Zum Beispiel beim Thema Rechtsextremismus im Netz. Während Internetphilosoph Sascha Lobo im vorigen Jahr darüber sprach, wie er versucht hatte, mit Hetzern zu diskutieren, plädierte er dieses Jahr dafür, ihnen aktiv etwas entgegenzusetzen. Er berief sich auf den US-Psychologen John Bargh, demzufolge Angst und körperliche Bedrohungen Menschen rechter werden ließen.

Umgekehrt gibt es auch Bemühungen, Leute liberaler werden zu lassen, indem man versucht, ihnen diese Ängste zu nehmen. Auch das ist übrigens eine Erklärung, warum Rechte und Rechtsextreme in sozialen Medien so erfolgreich sind, denn Angst und Wut sind ganz selbstverstärkende normale Reaktionen auf Bedrohungen.

Lobo plädierte für etwas, das er „offensiven Sozial-Liberalismus“ nannte. Er forderte, in der öffentlichen Diskussion auch Fakten zuzulassen, die einem nicht passten. Er verlangte Leitwerte statt einer Leitkultur und Investitionen für ein soziales Europa. Damit könne man Menschen zurückholen, die sich vom Rest der Gesellschaft verabschiedet hätten.

Auf einer anderen Ebene arbeitet „Funk“, das junge Angebot von ARD und ZDF, mit Jan Böhmermanns „Neo Magazine Royale“ zusammen. Sie hatten vor einer Woche Recherchen zum rechtsextremen Troll-Netzwerk „Reconquista Germanica“ veröffentlicht.

Mit der Gegenaktion „Reconquista Internet“ sollen sich Nutzer in sozialen Netzwerken koordiniert gegen Hass- und Hetzkommentare wenden und bekommen dafür Informationen, wie Böhmermann im Neo Magazin erzählte.

Zum Beispiel eine Liste mit den Pseudonymen, Facebook-Accounts und Twitter-Handles der echten Reconquista-Germanica-Mitglieder, mit denen Ihr dann machen könnt, was Ihr wollt: blocken, melden, mit Liebe überschütten.

Auf der Republica berichtete Böhmermann per Skype zugeschaltet, wie sehr ihn der Rücklauf von Nutzern überrascht habe.

Wir haben tatsächlich, das stimmt schon, aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung ins Leben gerufen. Ich teile auch die Einschätzung der anderen auf dem Podium, dass das natürlich ernst ist und freundlich ist, und ich glaube aber nicht und bin da jetzt nicht so desillusioniert, dass ich denke, dass es nicht die Lösung ist.

Auch auf technischer Ebene sieht Judith Simon positive Entwicklungen im Netz. Simon ist Professorin für Ethik in der Informationstechnologie an der Universität Hamburg. Sie verweist auf die vielen Projekte, in denen sich Leute im Netz positiv unterstützen – etwa mit Solidarisierungskampagnen und Crowdfunding.

Positive Entwicklungen sind sicherlich auch davon zu erwarten, dass die jüngere Generation, die Studierenden, die Programmiererinnen und Programmierer, auch sehr viel sensibler sind in der Entwicklung von neuen Technologien und darüber nachdenken, welche Auswirkungen Technologien haben für Fragen der Gerechtigkeit, der Gleichheit, und dass eben auch schon bei Designfragen mitdenken.

Hoffnung fürs Netz hat auch Republica-Mitgründer Markus Beckedahl, der die Seite Netzpolitik betreibt. Gegen die Massenüberwachung gibt es auch einen Gegentrend auf technischer Seite, sagt er.

„…dass auf einmal überall Verschlüsselung eingebaut wird, dass der Datenschutz von Anfang an immer mehr mitgedacht wird, und dass auf einmal alternative Kommunikationslösungen entstehen, wo man dann durch die Nutzung von zum Beispiel sicheren, verschlüsselten Messengern den Schutz von eigenen Grundrechten selbst in die Hand nehmen kann, wo die Politik leider versagt.“

Republica: Von Algorithmen, Missbrauch und rechten Positionen

Seit gestern wird auf der größten deutschen Digitalkonferenz re:publica in Berlin wieder über das Netz diskutiert: über Hass in Sozialen Netzwerken und den Missbrauch von Technologien bis hin zum Facebook-Skandal. Einen etwas kleineren Skandal gab es gleich zu Beginn. Mein Bericht für die „Informationen im Morgen“ im Deutschlandfunk.

Unterwegs zum POP: #rp18 und #mcb

Morgen beginnt in Berlin die größte deutsche Digitalkonferenz, die Republica – zusammen mit der Media Convention Berlin. Während es bei der Republica nicht nur um Medien, sondern um alle möglichen Digitalthemen geht, auch aus den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Kultur und Politik, konzentriert sich die Media Convention auf Medienthemen im engeren Sinne. Von beiden berichten wir in @mediasres live aus dem Gläsernen Studio des Deutschlandfunks.

Viel dazu bloggen werde ich wohl nicht schaffen. Allein Panels besuchen ist erfahrungsgemäß so zeitraubend und zugleich oft spannend, dass ich gar nicht sofort alle Eindrücke niederschreiben kann. Hinzu kommen Interviews und das Vorbereiten unserer beiden Live-Sendungen: am Mittwoch und Donnerstag jeweils ab 15.35 Uhr im Deutschlandfunk und dann auch online.

 

Anmerkung: In Vorbereitung auf die Datenschutzgrundverordnung habe ich Widgets, die sich ursprünglich im Text befanden, entfernt und sie teilweise durch Links ersetzt.