Leser gewinnen mit Kampagnenjournalismus?

Es ist wieder etwas ruhiger geworden in der Auseinandersetzung um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Kein Wunder, sind doch die entscheidenden Wochen erst mal vorbei. ARD, ZDF und das Deutschlandradio haben ihre Vorschläge für eine Strukturreform vorgelegt, die Ministerpräsidenten darüber beraten und sich erst mal auf März 2018 vertagt. Es gibt nicht mehr so viel tagesaktuell zu berichten, und die Öffentlich-Rechtlichen sind nicht mehr so stark im Fokus.

Der Vorwurf einer Medienkampagne ist ja in der Regel schlecht zu belegen. Dass bei einem großen Skandal alle Journalisten mit ähnlichen Argumenten hantieren ist nicht unbedingt ein Beweis, dass eine solche Kampagne läuft. Zumal Journalisten in solchen Fällen in der Regel kein Eigeninteresse inhaltlicher Art verfolgen, sondern höchstens den Interessen der Aufmerksamkeitsökonomie folgen.

In diesem Fall ist das aber anders. Denn hier sind fast alle Berichterstatter auch Partei. Wer bei den öfffentlich-rechtlichen Sendern arbeitet, kann sich nicht ganz davon freimachen, auch Gutes in diesem System zu sehen. Wer bei privaten Sendern und in der Printbranche arbeitet, wird dessen Produktionslogik auch prinzipiell unterstützen. Diese tendenzielle Voreingenommenheit macht die Auseinandersetzung so erbittert. Und teilweise dann doch so durchschaubar.

2017-10-09-14-08-24-kopieSo war etwa an der Titelstory des „Spiegel“ vor ein paar Wochen in vielerlei Hinsicht wenig auszusetzen. Vor allem deshalb, weil die Autoren sattsam Bekanntes zusammengetragen hatten. Und auch wenn ein paar Hasskommentare aus dem Netz nicht gerade große Beweiskraft hatten. Der Titel „Die unheimliche Macht“ allerdings wurde im Artikel nicht eingelöst. Und „Wie ARD und ZDF Politik betreiben“ leider auch nicht verraten. So wirkte der Text dann auf mich doch eher wie eine Art Auftragsarbeit so kurz vor den entscheidenden Sitzungen in Sendern und Politik.

Stefan Niggemeier hat seine Kritik an dem Artikel bei „Übermedien“ auf die schöne Formel gebracht:

Man muss nur ungenau genug hinsehen, dann erscheinen ARD und ZDF nicht mehr als reformbedürftig, sondern als unreformierbar.

Auch Dietrich Leder hat in der Medienkorrespondenz so einige Einwände gegen den Artikel:

Die „Spiegel“-Titelgeschichte kann das „Unheimliche“ denn auch nicht im geringsten belegen. Die Kritik an ARD und ZDF, die dort geübt wird, bedient sich beispielweise vieler öffentlicher Erklärungen, Daten und Materialien, die die beiden öffentlich-rechtlichen Institutionen zu Recht veröffentlichen müssen.

Dass die Verlage und mitunter auch ihre Redaktionen mit bestimmten Entwicklungen bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht zufrieden sind, ist die eine Sache. Die andere ist, wie sie damit in ihrer journalistischen Arbeit umgehen.

Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ihre Sonntagszeitung glänzen durchaus nicht nur mit Argumenten, sondern versuchen es mit Framing. Den Rundfunkbeitrag nennen sie gerne mal Zwangsgebühr oder inzwischen zumindest Zwangsbeitrag – auch wenn ihnen das nicht bewusst ist.

Dass FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld (vom Altpapier auch „Frankfurts Iron Mike“ genannt) keine solche Gelegenheit auslässt, wissen wir schon. Dass die FAZ aber nicht nur bei den möglichen, sondern auch bei den unmöglichen Gelegenheiten zuschlägt, war mir bis zu dieser Woche neu.

Auf der Titelseite des Feuilleton-Buchs heißt es in der von Stefan Niggemeier geposteten Bildunterschrift:

Um zu begreifen, dass Berlin viele ziemlich komische Vögel beheimatet, braucht der öffentlich-rechtliche Fernsehzuschauer nicht auf die Ausstrahlung einer von seinen Zwangsgebühren finanzierten, aber zunächst nur medialen Privatpatienten zugänglichen Fernsehserie über die röhrenden Zwanziger zu warten.

Zusammenhang zum Thema? Keiner.

Statt den Rundfunk außerdem öffentlich-rechtlich zu nennen, wie er verfasst ist, fällt in den Zeitungen öfter mal der Begriff Staatsrundfunk oder Staatsfunk. Nachdem meine @mediasres-Kollegin Brigitte Baetz die FAZ in einem oft missverstandenen offenen Brief dazu aufrief, den Begriff nicht zu verwenden, weil er falsch sei, holten einige FAZ-Journalisten zum großen Gegenschlag aus, um zu erklären, warum sie doch irgendwie Recht haben. (Ich habe hier was zur Vorgeschichte und hier was zu Reaktionen geschrieben.)

Es sind teils in sich widersprüchliche Äußerungen, wie Stefan Niggemeier im erwähnten Beitrag bei Übermedien herausgearbeitet hat. Er bezieht sich hier auf den Begriff „Staatsfunk“:

Ihre eigene Aussage aus der Vorwoche, dass es sich um einen schmähenden Kampfbegriff handele, dementierten sie ((die Autoren, SF)) nun plötzlich: Er beschreibe nur “völlig unideologisch die Realität”.

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(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

Die erwähnten Autoren sind Rainer Hank und Georg Meck, deren Artikel in der FAS Auslöser für die damalige Vorläuferdebatte war. Ich will so viele Wochen danach nicht detailliert auf den Artikel eingehen, aber zumindest kurz erwähnen, dass sich sich die Autoren darin gegen Behauptungen wehren, die nie aufgestellt wurden, etwa diese hier:

Als die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vor einer Woche über die finanziellen Begehrlichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks berichtete, ließt der Protest der Betroffenen nicht lange auf sich warten. Besonders in Rage bringt sie die von der F.A.S. benutzte Begrifflichkeit: Wer wie die F.A.S. von „Staatsfunk“ schreibt, der sich aus „Zwangsbeiträgen“ finanziert, gilt als schlimmer Ideologe, mutmaßlich rechtsradikal – zumindest von der AfD gesteuert.

Das ist vage genug formuliert, um den Vorwurf, rechtsradikal oder AfD-gesteuert zu sein, nicht dem Deutschlandfunk anzulasten. Ich habe diesen Vorwurf nirgendwo gehört. Und die AfD hatten übrigens vorher nur Hank und Meck selbst ins Spiel gebracht. Dass für die FAZ dann in diesem Kommentar von Herausgeber Jürgen Kaube zudem bestritt, den Begriff überhaupt zu benutzen, hat mich doch verwundert. Kaube schrieb:

Tatsächlich hat diese Zeitung das Wort „Staatsrundfunk“ in den vergangenen zwei Jahren für ARD und ZDF überhaupt nicht verwendet, nur einmal – als einen Spruch der AfD – zitiert.

Kann er nicht mal die Suchfunktion auf der Homepage seiner eigenen Zeitung benutzen?

Die zunehmende Verwendung der Begriffe Staatsrundfunk, Staatsfunk, Staatssender und Co. beobachtet WDR-Kollege Udo Stiehl mit Sorge:

Schritt für Schritt werden die Begriffe als Synonym für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeführt. Das ist von interessierter Seite durchaus geschickt gemacht. Die „Lügenpresse“-Rufer klingen plötzlich nicht mehr ganz so radikal und ziehen dabei die Argumentation heran, ARD, ZDF und Deutschlandradio seien doch „staatlich“ finanziert. Natürlich verschweigen sie dabei, dass das Geld nicht aus dem Haushalt der Bundesregierung kommt, sondern von den Bürgern. Diese Assoziation ist gewollt und fällt durchaus auf fruchtbaren Boden. Aus diesem Bild heraus folgt dann die Forderung, die öffentlich-rechtlichen Sender abzuschaffen, denn sie handelten doch nur auf Anweisung der Regierung. Das ist nichts anderes als eine unverhohlene Forderung nach Abschaffung der Pressefreiheit.

Es sind weder sachgerechte noch für die Diskussion hilfreiche Begriffe, die dennoch – bei gleichzeitiger Abstreitung jeder Kampagnenführung – immer öfter von Print-Journalisten in der Debatte benutzt werden. Nicht nur in den Medien selbst, auch in persönlichen Äußerungen zum Beispiel bei Twitter.

Und damit ähnlich ähnlich zusammenhangslos wie in der oben bereits zitierten Bildunterschrift in der FAZ. Dass eine Debatte, die die FAZ mit der subtilen Verwendung solcher Begriffe angefangen hat, dann aus dem eigenen Haus kritisiert wird, spricht zumindest für die Binnenpluralität der Redaktion.

Es bleibt jedenfalls ein merkwürdiger Eindruck zurück, der eine (wenn wohl nicht durchorchestrierte, aber auch nicht rein aus journalistischen Gründen geführten) Kampagne durchaus für möglich hält. Sicher haben einige Argumente der Gegner von öffentlich-rechtlichen Sendern ihre Berechtigung. Und dass sich private Rundfunksender und Zeitungen durch die bereits von den Beitragszahlern finanzierten Inhalte unter Konkurrenzdruck sehen, ist auch verständlich.

Wie man aber mit einem solchen Kampagnenjournalismus unter teilweiser Missachtung journalistischer Standards Leser gewinnen will, die dafür künftig dann Geld bezahlen, ist mir ein Rätsel.

 

Offenlegung: Ich arbeite als freier Journalist unter anderem für die beiden öffentlich-rechtlichen Sender WDR und Deutschlandfunk und schreibe in diesem Blog privat.

So deutet „Die Welt“ eine Mehrheit für eine ARD-ZDF-Fusion herbei

Die Mehrheit der Deutschen ist für eine Fusion von ARD und ZDF zu einem nationalen, öffentlich-rechtlichen Sender.

Das schreibt die Springer-Tageszeitung „Die Welt“ auf ihrer gemeinsamen Webseite mit dem Springer-Fernsehsender „N24“. Ich bezweifle, dass das tatsächlich so ist. Denn die Umfrage, die das Umfrageunternehmen Civey für die beiden Medien online durchgeführt hat, ist so vage, dass die Antworten nur falsch sein können.

Das lässt sich schon an der Fragestellung ablesen, die die Welt glücklicherweise mit veröffentlicht hat:

Bei diesem WELT-Trend lautete die Frage: „Sollten die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten, öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?“

Im Artikel, in dem diese Umfrage eingebettet war, wurde vorher sogar noch eine etwas längere Frage gestellt:

Wir wollen von Ihnen wissen: Wie sehen Sie die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland? Soll alles so bleiben, wie es ist, und beide weiterhin gemeinsam nebeneinander bestehen? Oder plädieren Sie dafür, dass die Fernsehsender von ARD und ZDF zu einem einzigen bundesweiten öffentlich-rechtlichen Sender fusioniert werden?

Das sind streng genommen zwei verschiedene Fragen. Denn „beide“ gibt es so gar nicht. Gemeint sind wohl ARD und ZDF. Aber die ARD ist nur eine Arbeitsgemeinschaft, die aus neun verschiedenen Landesrundfunkanstalten und der Deutschen Welle besteht. Daneben gibt es noch das Deutschlandradio, somit also elf öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Deutschland (die Deutsche Welle wird nicht aus dem Rundfunkbeitrag finanziert, sondern aus Steuermitteln). In der zweiten Frage wird dann nach „Fernsehsendern von ARD und ZDF“ gefragt, womit schon mal alle Radioprogramme ausgenommen werden und beim Fernsehprogramm alles über einen Kamm geschert wird.

Die neun Landesrundfunkanstalten und das ZDF betreiben nämlich im Moment getrennt und gemeinsam insgesamt 21 Fernsehsender. Bei einer Fusion, nach der Civey gefragt hat, müssten also all diese 21 Sender zu einem verschmelzen. Die Zuschauer würden also nicht nur auf Das Erste und das ZDF in ihrer bisherigen Form verzichten müssen, sondern auch auf alle dritten Programme, 3sat, Kika, Phoenix, Arte, ARD alpha, tagesschau24, ARD one, ZDF info und ZDF neo. Programme, die von Millionen Menschen gesehen werden.

Nur als Beispiel: Das Erste hatte im September 2017 nach Zahlen der AGF Videoforschung einen Marktanteil von 11,2 Prozent, das ZDF 12,9 Prozent. Alle anderen genannten öffentlich-rechtlichen Programme kamen zusammen auf 21,7 Prozent. Das ist ein so diversifiziertes Programm und damit auch Publikum, das man auf keinen Fall mit einem einzigen gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Programm zufriedenstellen könnte. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass ein mehr oder weniger großer Teil der bisherigen Zuschauer das zentrale Programm nicht mehr einschalten würde.

Plädieren also tatsächlich 54 Prozent der Teilnehmer an der WELT-Umfrage für nur noch ein einziges Programm? Also mehr Programmeinfalt, um damit mehr Zuschauer gleichzeitig erreichen zu müssen? Warum sollten sie auf etwas verzichten wollen, das sie so intensiv nutzen?

Ich glaube, dass die meisten Teilnehmer der Umfrage die gestellte Frage gar nicht verstanden haben, weil sie viel zu unspezifisch formuliert wurde. Für viele ist ARD immer noch das erste Fernsehprogramm, auch wenn das offiziell „Das Erste“ heißt. Für viele ist ZDF das zweite Fernsehprogramm (wie der Name schon sagt), nicht aber deren Ableger Info und Neo. Und vor allem sind es nicht die gemeinsam veranstalteten Programme wie Arte und 3sat.

Hätten Welt und Civey nur nach den beiden Sendern „Das Erste“ und ZDF fragen wollen, wäre so eine Frage zielgenauer gewesen:

Sollten das erste und zweite Fernsehprogramm zu einem einzigen Sender zusammengelegt werden?

So aber kann WeltN24 das Ergebnis der missverstandenen Frage wieder auf die Anstalten an sich zurückdeuten und dann titeln:

(Screenshot: https://www.welt.de/kultur/medien/article169891258/Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Fusion-von-ARD-und-ZDF.html)
(Screenshot: https://www.welt.de/kultur/medien/article169891258/Mehrheit-der-Deutschen-fuer-Fusion-von-ARD-und-ZDF.html)

Eine Frage missverständlich zu stellen und die Ergebnisse dann als scheinbar eindeutig auszugeben ist jedenfalls kein seriöser Umgang mit einer Umfrage.

Dass es der Springer-Vorstandsvorsitzende Matthias Döpfner war, der in seiner Funktion, aber auch als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger immer wieder gegen die öffentlich-rechtlichen Sender polemisiert, sei nur zum Schluss kurz erwähnt.

Schauspielerverband fordert mehr Geld von ARD und ZDF

Sollten ARD und ZDF ihre Sendungen bald unbegrenzt im Netz anbieten dürfen, befürchten viele Schauspieler weitere Einbußen. Heinrich Schafmeister vom Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler beklagte im Deutschlandfunk, dass die Sender ihnen jetzt schon nichts dafür zahlen, wenn Sendungen in den Mediatheken abrufbar sind – obwohl sie müssten. Mit Schafmeister habe ich für @mediasres gesprochen.

Podcast-Boom: Reden ist Gold

Jederzeit hören, was einen interessiert. Seit Jahren wächst das Angebot an Podcasts auf vielen unterschiedlichen Plattformen. Für die Macher geht es darum, ihre Launen und Leidenschaften einzubringen, sagt der Journalist und Podcaster Philip Banse im Deutschlandfunk. Mit ihm habe ich für @mediasres gesprochen.

Eine Studie, die Angst macht

(Quelle: R+V Versicherung)
(Quelle: R+V Versicherung)

Schon Anfang September hat die R+V Versicherung wieder ihre jährliche Umfrage über die „Ängste der Deutschen“ vorgestellt. Sie schreibt darüber selbst:

Terroranschläge, verheerende Unwetter oder Zuwanderung: Wie stark beeinflussen aktuelle Themen die Ängste der Deutschen? Das Infocenter der R+V Versicherung hat zum 26. Mal rund 2.400 Menschen nach ihren größten Sorgen rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Familie und Gesundheit befragt. 2017 jagen Sicherheitsprobleme den Bürgern am meisten Angst ein.

„Langzeitstudie“ nennt die Versicherung ihre Erhebung, dabei ist es eigentlich nicht mehr als eine Umfrage. Erhoben werden also nicht objektive Daten, sondern persönliche Einschätzungen der Befragten.

Insofern unterscheidet sich diese Umfrage nicht von hunderten bis tausenden anderen, die jedes Jahr durchgeführt und von Lobbyverbänden und Unternehmen veröffentlicht werden. Die Angst-Umfrage dient der Versicherung dabei gleichermaßen als PR-Instrument als vermutlich auch als Datenschatz, in welchem Bereich sich möglicherweise weitere Versicherungen verkaufen ließen.

An der Umfrage lässt sich viel Kritik äußern – aber die diesmal genauer als sonst bei Studien. Denn die Versicherung hat die Daten zur Erhebung genau dokumentiert. Die Ergebnisse leider nicht, aber dazu später.

Umfragedesign ist transparent

Bei der Erhebung heißt es zum Beispiel, dass die Menschen persönlich befragt wurden – in „strukturierten persönlichen Interviews mit geschlossenen Fragen“. Geschlossene Fragen heißt, es wurde eine Reihe von möglichen Ängsten abgefragt, die Befragten konnten also nicht selbst nennen, was sie gerade besonders ängstigt. Felicitas Kock fragt deshalb in der Süddeutschen Zeitung zurecht, ob es da nicht konkretere Ängste gebe als ausgerechnet die vor Terror:

Die Angst, dass ausgerechnet dem Menschen etwas zustößt, der einem auf der Welt am nächsten ist, zum Beispiel. Oder die Angst, morgens vom Auto überfahren zu werden, weil es statt eines Fahrradwegs nur einen schlecht markierten Seitenstreifen gibt.

Doch danach wird gar nicht gefragt. Ängste sind sehr individuell. Sie auf ein paar mögliche einzugrenzen und anschließend zu behaupten, das seien „Die Ängste der Deutschen“, greift doch sehr kurz. Man müsste eher sagen: „Die Ängste der Deutschen unter denen, nach denen wir sie gefragt haben“. Als da wären:

Ich habe gar keine Angst … sehr große Angst davor, dass

  • ich schwer erkranke
  • ich von Arbeitslosigkeit betroffen werde
  • ich im Alter meinen Lebensstandard nicht halten kann
  • meine Partnerschaft zerbricht
  • meine Kinder drogen- und / oder alkoholabhängig werden
  • Nahrungsmittel immer stärker mit Schadstoffen belastet sind
  • die Anzahl an Naturkatastrophen zunimmt
  • die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter steigt
  • die Lebenshaltungskosten stark steigen
  • sich die Wirtschaftslage in Deutschland verschlechtert
  • sich der politische Extremismus ausbreitet
  • ich Opfer einer Straftat werde
  • das Zusammenleben zwischen Deutschen und den hier lebenden Ausländern durch einen weiteren Zuzug von Ausländern / Asylanten beeinträchtigt wird
  • Deutschland mit kriegerischen Auseinandersetzungen konfrontiert wird
  • terroristische Vereinigungen Anschläge verüben
  • die Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind
  • die Schuldenkrise einiger EU-Staaten den Euro gefährdet
  • die Schuldenkrise einiger EU-Staaten für den deutschen Steuerzahler teuer wird
  • die große Zahl der Flüchtlinge die Deutschen und ihre Behörden überfordert

Natürlich kann man das so abfragen. Aber mit mancher Nennung aktiviert man möglicherweise erst eine Angst, die überhaupt nicht vorhanden oder nicht bewusst ist. Angst vor Krieg? Was, muss ich die denn haben? (So einen merkwürdigen Versuch startete neulich auch #DeineWahl2017 zum YouTube-Interview mit der Bundeskanzlerin).

Den Befragten wurde vorab diese Basisfrage gestellt:

Es gibt viele Risiken und Gefahren im Leben. Einige davon haben wir zusammengestellt. Uns interessiert nun, inwieweit Sie sich davon bedroht fühlen. Bitte geben Sie uns – rein aus dem Gefühl – eine Bewertung, die aussagt, für wie bedrohlich Sie dieses Ereignis halten. Eine „1“ drückt aus, dass Sie keine Angst davor haben. Mit einer „7“ geben Sie zum Ausdruck, dass Sie sehr große Angst davor haben. Denken Sie aber bitte auch an die Zwischenstufen von „2“ bis „6“.

Arno Orzessek bemängelt zurecht in der WDR5-Sendung „Politikum“:

Dabei ist es zweifelhaft, ob jemand bei der Befragung jene Angst verspürt, deren Größe er bewerten soll. Noch zweifelhafter ist das Insistieren auf einer rein gefühlsmäßigen, unreflektierten Antwort.

Kock bringt den Aspekt des Unreflektierten klarer zum Ausdruck, wenn sie schreibt:

Die Teilnehmer sollten angeben „für wie bedrohlich“ sie ein Ereignis halten. Wobei auch die Frage offen bleibt, ob man vor einem Ereignis, das man mit 7 bewertet, nun sehr viel Angst hat – oder ob man nur für sehr wahrscheinlich hält, dass es eintritt.

Jeder Befragte hat als möglicherweise auf andere Rahmenbedingungen der Frage Bezug genommen.

Auswertung ist weitgehend geheim

Die Auswertung ist dagegen nicht so transparent wie das Umfragedesign. Die Skala umfasst sieben Stufen; die Versicherung fasst in der Auswertung aber gleich drei davon, nämlich 5, 6 und 7, unter dem Stichwort „große Angst“ zusammen. Sie gibt aber nicht die Daten heraus, wie viele Befragte im Einzelnen jeweils die Skalastufen 5, 6 und 7 genannt haben. Das ist relativ großzügig und berücksichtigt die von den Befragten gemachten Abstufungen meiner Meinung nach nicht angemessen.

Angenommen, die Versicherung nennt 100 Menschen, die entweder Stufe 5, 6 oder 7 genannt haben, so bleibt doch offen, ob alle 100 Stufe 5 oder alle 100 Stufe 7 genannt haben. Das macht aber bei der Einschätzung der Antwort einen Unterschied.

Wie genau die Verteilung war, will die Versicherung auch auf meine Nachfrage nicht herausgeben – und macht damit die eigene Umfrage größtenteils unbrauchbar.

Hinzu kommt der Erhebungszeitraum. Erhoben wurde vom 23. Juni bis 28. Juli 2017. Das ist mit fünf Wochen ein relativ langer Befragungszeitraum. Vier Tage vor Beginn hatte es einen Anschlag auf eine Moschee in London gegeben. Am 14. Juli wurden zwei Deutsche bei einer Messerattacke in Hurghada getötet. Am 28. Juli tötete ein Mann in einem Supermarkt in Hamburg einen Menschen. Es wäre nicht verwunderlich, hätten die am Anfang und Ende Befragten aufgrund der aktuellen Vorfälle größere Angst geäußert als diejenigen, die relativ lange nach einem Anschlag befragt wurden. Hätte man die Umfrage nach dem 17. August durchgeführt, den Anschlägen von Barcelona und Cambrils, hätte man sicher wiederum andere Ergebnisse bekommen. Arno Orzessek kommentiert:

Und dass etwa Terror, je nach Datum und Opferzahl der jeweils jüngsten Anschläge mehr oder weniger große Ängste auslöst, ist eine Banalität. Terrortote haben noch nie Sorglosigkeit gefördert.

Fazit

So bleibt am Ende die ernüchternde Erkenntnis, dass trotz aller Transparenz, was die Erhebung der Umfrage angeht, diese bei den Ergebnissen fehlt. Was freilich Journalisten nicht daran hindert, die Ergebnisse und damit auch Werbung für die Versicherung in die Berichterstattung zu heben.

Deutschlandfunk startet persönliche Podcasts

In den vergangenen Monaten hat der Deutschlandfunk, für den ich auch arbeite, zwei sehr gute neue Podcasts gestartet. Es sind die ersten beiden, die nicht eins zu eins lediglich die im Radio gelaufene Sendung sind.

Die Kollegen aus dem Hauptstadtstudio in Berlin tauschen sich seit einigen Monaten in unregelmäßigen Abständen über Entwicklungen in der Bundespolitik aus („Der Politik-Podcast“); seit drei Wochen blicken die Kollegen der sogenannten Zeitfunk-Redaktion in Köln, die vor allem für die aktuellen Sendungen „Informationen am Morgen/Mittag/Abend“ und für „Das war der Tag“ verantwortlich sind, auf eben jenen Tag zurück („Der Tag“).

Beide Formate bieten einen neuen Zugang zu tagesaktuellen Themen an. Und vor allem sind beide viel persönlicher als die Moderatoren und Korrespondenten im Radio sein könnten – ein Markenzeichen erfolgreicher Podcasts. In beiden werden Themen aus einer persönlichen Perspektive behandelt – und zwar ausschließlich im Gespräch. Zwischen Redakteuren, mit Korrespondenten, im Austausch zwischen beiden und mit Interviewpartnern. So scheint in den Gesprächen auch immer wieder eine persönliche Ebene durch – und die drückt sich nicht nur darin aus, dass sich die meisten Kollegen eigentlich untereinander duzen, auch wenn in der strengen Form im Radio das Sie verwendet wird.

Vor allem machen beide Formate redaktionelle Arbeit transparent. Denn auch wenn immer wieder gefordert wird, Journalisten sollten möglichst objektiv mit Themen umgehen, so gibt es doch in der ersten Begegnung mit ihnen immer einen persönlichen Aspekt. Den machen die Kollegen auch immer wieder deutlich – besonders in „Der Tag“.

„Was heißt das?“ und „Warum passiert das?“ sind die Leitlinien unseres neuen Podcasts „Der Tag“. Darin greifen wir die zwei bis drei wichtigsten Themen des Tages auf und schauen auf das, was hinter der Nachricht steckt. (…)

„Aber Moment, das machen Sie doch schon im Programm!“ Stimmt, auch da packen wir die Themen hintergründig an. Aber in „Der Tag“ wollen wir es uns erlauben stärker gemeinsam nachzudenken. Unterschiedlicher Ansicht zu sein, uns vielleicht sogar mal zu streiten. „Der Tag“ ist persönlicher als unser Radioprogramm.

Dort erzählen die vier sich abwechselnden Moderatoren Ann-Kathrin Büüsker, Sarah Zerback, Philipp May und Dirk-Oliver Heckmann immer wieder, warum sie jene zwei oder drei Themen ausgewählt haben, auch wenn es nicht zwangsläufig die zwei oder drei von den meisten anderen Journalisten als wichtigste Themen erachtet werden. Oft ist es eine Irritation, eine Verwunderung, ein Auftauchen von Fragen, dass man sich dafür entscheidet. Manchmal auch ein weiterführender Gedanke oder eine Parallele, etwa wenn anlässlich des Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien auf Abspaltungstendenzen in Bayern geschaut wird.

Und es wird auch mal gelacht, wenn aktuelle Ereignisse Anlass dazu bieten. Beide Formate sind hörenswert und meine Empfehlung zum Wochenende (auch wenn die jeweils neuesten Ausgaben einen bis mehrere Tage alt sind).

Journalisten können nicht erkennen, was Merkel anders machen will

(Screenshot: Phoenix)
(Screenshot: Phoenix)

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nach der so halb verlorenen Bundestagswahl von vielen Journalisten gescholten worden – für eine Aussage, die seitdem immer wieder zitiert wird:

Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.

Die FAZ schreibt unter Zuhilfenahme von dpa-Material:

„Trotzdem halte ich die Grundentscheidungen, die getroffen wurden, und für die ich natürlich in ganz besonderer Weise verantwortlich bin (…) für richtig“, betonte die Kanzlerin zu ihrer Entscheidung von 2015, Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland zu lassen. Die Bundesregierung habe in der Flüchtlings- und Migrationspolitik eine große Entwicklung gemacht, zugleich aber noch viel Arbeit vor sich, sagte Merkel.

Merkel sagte, sie könne nicht erkennen, „was wir jetzt anders machen müssten“. Sie habe diesen Wahlkampf gut durchdacht.

Berthold Kohler zitiert Merkel später in der FAZ und kommentiert:

Die Unerschütterliche aber sagte: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen“. Das kann man, wenn man zu den treuen Fans der Kanzlerin zählt, protestantische Standhaftigkeit nennen. Wenn die Wähler darin aber, was wahrscheinlicher ist, eher Uneinsichtigkeit und Starrköpfigkeit im Spätstadium einer langen Kanzlerschaft erkennen, dann werden die Probleme der CDU noch zunehmen, und die der CSU – mitgegangen, mitgehangen – auch.

Im Teaser ist das sogar noch etwas zugespitzter:

Angela Merkel hätte, nachdem der Union so viele Wähler davongelaufen sind, Grund genug, ihre Politik zu ändern. Doch die Kanzlerin will das nicht erkennen.

Anja Günther kommentiert im NDR:

Schade nur, dass Merkel aus dem Wahlergebnis scheinbar keine inhaltlichen Konsequenzen für die Union ziehen will. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, hat Merkel gesagt. Das ist das Gegenteil von „wir haben verstanden“.

Auf ntv.de schreibt Hubertus Volmer:

Auf die Frage, was sie falsch gemacht habe, sagt Merkel, dieses Mal ironiefrei: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“ Das gilt ausdrücklich auch für ihre Flüchtlingspolitik.

Jan Fleischhauer kommentiert bei Spiegel online:

Sie könne nicht erkennen, was man hätte anders machen können, hat Angela Merkel nach Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses erklärt. Das hat sie wörtlich so gesagt. „Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten.“ Die Bundeskanzlerin mag mir meine Anmaßung verzeihen, aber mir fiele einiges ein.

Er suggiert damit ebenso wie es in den anderen zitierten Artikel gemacht wird, Merkel zeige sich vom Wahlergebnis einigermaßen unbeeindruckt und würde daraus keine Konsequenzen für ihre Politik ziehen wollen. Nach dem Motto: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Das Problem ist: Merkel hat das so nicht gemeint. Aber wenn man den Kontext entfernt, klingt es so. Dann kann man aber, mit Verlaub, diese Aussage auf alles mögliche anwenden, was man ihr vorwirft.

Merkel antwortete tatsächlich auf eine Frage der ARD-aktuell-Reporterin Marie von Mallinckrodt. Diese fragte Merkel bei der offiziellen CDU-Pressekonferenz am Tag nach der Wahl:

von Mallinckrodt: Frau Bundeskanzlerin, ich möchte Sie noch mal bitten, einen Blick zurückzuwerfen auf den Wahlkampf. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse und der Wählerwanderung zur AfD: Ganz konkret, was haben Sie als Kanzlerkandidatin und die CDU vielleicht auch falsch gemacht, was hätte man anders machen müssen?

Merkel: Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten. Ich habe diesen Wahlkampf gut durchdacht, ich habe ihn so gemacht, wie ich ihn gemacht habe, und bin jetzt auch am Tag danach nicht der Meinung, dass das… dass ich das anders sehe als ich das gestern oder vorgestern oder vor zwei Wochen gesehen habe.

Wer sich die Pressekonferenz angesehen hat, sollte das mitbekommen haben. Hier der entsprechende Ausschnitt:

Merkel bezieht sich mit dieser Aussage also ausdrücklich auf den Wahlkampf und nicht auf den Inhalt ihrer Politik, die ihr in den Artikeln vorgeworfen wird. Das ist ein Unterschied. Selbst wenn Merkel der Meinung sein sollte, dass sie für ihre Politik nicht erkennen könne, was sie anders machen solle (wenngleich sie ja zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik, auf die n-tv dieses Zitat sogar ausdrücklich, aber falsch bezieht, längst eine Kehrtwende gemacht hat): Dieses Zitat gibt das nicht her.

Aber wie das so oft ist: Leider macht auch dieses Zitat wie schon andere zuvor eine eigene Karriere – gänzlich losgelöst von seinem Kontext.

Zum Höhepunkt des Reformationsjubiläums: „Da scheitert die PR der Kirche“

Die Kirche habe sich von dem Reformationsjahr sehr viel erhofft, sagte Hannes Leitlein im Dlf. Doch die Bedeutung der Reformation und des Glaubens seien zu kurz gekommen, so der Redakteur von „Christ und Welt“, mit dem ich für @mediasres im Deutschlandfunk über die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche gesprochen habe.

Medien im Umbruch: „Früher waren die Journalisten die Schleusenwärter“

Die Medienwelt ist im Umbruch – das birgt nicht nur Gefahren für Verlage und Rundfunkanstalten, sondern auch für die Nutzer. Falschmeldungen, Propaganda und PR bedrohen die Demokratie, befürchtet der Medienwissenschaftler Stephan Ruß-Mohl von der Universität Lugano im Dlf-Interview. Ich habe in @mediasres im Deutschlandfunk mit ihm gesprochen.

„Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ heißt sein neues Buch. Feinde sind für ihn „Akteure, die entweder mit Fake News, mit Falschmeldungen Geld verdienen wollen, oder Akteure, die Falschnews nutzen zu Propagandazwecken, um politisch in irgendeiner Weise Gewinne zu erzielen“.

Ruß-Mohl sprach im Deutschlandfunk von einem massiven Problem. Vor 30 Jahren sei auf einen Journalisten ein PR-Experte gekommen, heute seien es in den USA fünf PR-Experten pro Journalist. „Es wird einfach sehr viel mehr Öffentlichkeitsarbeit, sehr viel mehr Selbstdarstellung getrieben als früher.“

Außerdem könne heute jeder selbst Medieninhalte erstellen, die Funktion des Schleusenwärters, der Informationen nach bestimmten Kriterien ausgewählt und an Leser und Zuschauer weitergeleitet hat, hätten Journalisten verloren.