Wie man mit Statistiken Politik macht

Wer in der Öffentlichkeit eine Position begründen will, zieht gerne Daten und Statistiken heran, die die Position untermauern sollen. Manchmal wird auch klar, dass die Zahlen die Schlussfolgerung gar nicht hergeben.

Bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik Anfang der Woche war für jeden was dabei. Bundesinnenminister Thomas de Maizière von der CDU etwa lenkte den Blick auf die Zahl der Zuwanderer unter den Tatverdächtigen, die im vergangenen Jahr um fast 53 Prozent gestiegen sei und sagte:

Da gibt es nichts zu beschönigen, das gilt leider für nahezu alle Deliktbereiche. Und leider – das zeigen die Zahlen – geht der deutliche Anstieg im Bereich der Gewaltdelikte vor allem auf einen Anstieg der durch Zuwanderer verübten Gewaltdelikte zurück.

Mit dieser Zahl lässt sich prima Politik machen, wie etwa der Berliner AfD-Politiker Karsten Woldeit zeigte, der daraufhin pauschal die Abschiebung verurteilter Migranten forderte. Die Gewalttaten den Tätern aufgrund ihrer Herkunft zuzuordnen, greift allerdings zu kurz, denn der Anstieg dieser Zahl könnte auch auf einen statistischen Effekt zurückzuführen sein, sagte der Kriminologe Thomas Feltes im Deutschlandfunk:

Das liegt ganz schlichtweg daran, dass es sich bei den Zuwanderern primär um junge Männer handelt, und das ist die Gruppe, die am meisten Straftaten begeht. Auch bei den sogenannten Biodeutschen oder bei den Einwohnern in Deutschland ist diese Altersgruppe der jungen Männer am höchsten belastet, vier-, fünf- bis achtmal so viel wie andere Altersgruppen, und auch wie Frauen. Deshalb ist es klar, wenn junge Männer nach Deutschland kommen, wäre alles andere ein Wunder, wenn die hier nicht auch straffällig werden würden.

Mit den nackten Zahlen allein kommt man also nicht weit, man muss sie ins Verhältnis setzen – oder so vage formulieren, dass am Ende mehrere Deutungen möglich sind. Das hatte FDP-Chef Christian Lindner getan, als es um die Kriminalität in Nordrhein-Westfalen ging. Die BILD-Zeitung hatte ihn gefragt:

Leben die Menschen in NRW weniger sicher als in anderen Bundesländern?

Woraufhin Lindner antwortete:

Ganz offensichtlich. Die Einbruchskriminalität ist massiv gestiegen, die Aufklärungsquote aber stagniert.

Ganz so einfach kann man es sich aber nicht machen, denn Lindner lieferte – absichtlich oder unabsichtlich – entscheidende Informationen nicht mit: welchen Zeitraum er für seinen Vergleich heranzog – und was er mit dem Begriff Einbruchskriminalität überhaupt meinte.

Das Recherchezentrum Correctiv machte einen Faktencheck und schrieb, die Einbruchskriminalität sei nicht etwa massiv gestiegen:

Anfang März stellte NRW-Innenminister Ralf Jäger die Polizeiliche Kriminalstatistik 2016 vor – und freute sich über den „deutlichen Rückgang“ bei den Wohnungseinbrüchen. Die Zahl der Wohnungseinbrüche ging im vergangenen Jahr um 15,7 Prozent zurück. Von gut 62.000 Fällen in 2015 auf gut 52.000 Fälle in 2016. So steht es in einer Pressemitteilung des Innenministeriums in NRW.

Correctiv bezog sich also auf die Entwicklung von 2015 bis 2016, ohne dass Lindner selbst diesen Zeitraum angegeben hätte. Die Journalisten nahmen sich sicherheitshalber auch noch mal einen längeren Zeitraum vor, und zwar die Zeit von 2012 bis 2016, ohne dass sie begründen warum. Ich vermute, sie haben die laufende Legislaturperiode in Nordrhein-Westfalen als Aufhänger genommen, was durchaus Sinn ergibt, geht es doch in Lindners Aussage darum, die Kriminalitätsentwicklung dem SPD-Politiker Jäger in die Schuhe zu schieben. Das Urteil von Correctiv: Lindners Aussage sei „komplett falsch“.

Auf diesen Zeitraum bezogen: ja. Da Lindner allerdings vage blieb, konnte ihn sein Team bei Twitter verteidigen:

Bezogen auf diese Zeit hatte der FDP-Chef wiederum Recht – die Kriminalität stieg tatsächlich, wie das Bildblog in einem Faktencheck des Faktenchecks herausfand. Doch es ging noch ein wenig weiter: Daraufhin meldete sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber aus Bonn bei Twitter und schrieb:

Und vergleicht man diese und nicht nur die Einbruchsversuche für Jägers komplette Amtszeit, so sank ihre Zahl ausweislich der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik für Nordrhein-Westfalen (PDF).

(Screenshot: https://www.polizei-nrw.de/media/Dokumente/PKS/2016/PKS_Jahrbuch_2016_II.pdf, S. 116)
(Screenshot: https://www.polizei-nrw.de/media/Dokumente/PKS/2016/PKS_Jahrbuch_2016_II.pdf, S. 116)

Was sich wiederum die SPD gerne auf ihre Fahnen schreibt.

Schauen wir zum Schluss noch auf die Aufklärungsquote, die sich ebenfalls in der Grafik findet. Auf diese bezogen hatte Christian Lindner im BILD-Interview ja gesagt, diese stagniere. Die Grafik zeigt, dass er dabei keinesfalls denselben Zeitraum (= Bilanz seit Dienstbeginn Jäger) meinen kann, denn in dieser Zeit ist die Quote von 12,9 auf 16,2 Prozent gestiegen. Legt man das zugrunde, hat Lindner tatsächlich Unrecht. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass er oder sein Team für diese Aussage gerne einen anderen Zeitraum zugrundelegen wollen. Ich habe sicherheitshalber mal nachgefragt:

Eine eventuelle Antwort liefere ich hier nach.

So oder so: Welche Zahlen relevant sind, muss der Wähler entscheiden – aber er muss wissen, woher genau sie kommen. Was die Beteiligten gerne verschweigen oder vernebeln – im eigenen Interesse. So wirkt es, als würde höchstens einer echte Zahlen nutzen und die anderen lügen. Dabei ist die Wahrheit differenzierter.

Warum Aprilscherze in Medien gerade wenig angebracht sind

Bezahlen für Wahlen?

tagesschau.de schreibt heute:

Die Milliardenumsätze bei den Sportrechten haben offenbar Begehrlichkeiten geweckt: In einer Machbarkeitsstudie für den Bundeswahlleiter spielt eine Agentur die Möglichkeit durch, die Übertragungsrechte für die Bundestagswahl zu vermarkten.

Das klingt skandalös. Und nachfolgend bedient Autor Wulf Rohwedder ein paar Vorurteile: die raffgierige Unternehmensagentur, die die Studie angefertigt haben soll, der Bundeswahlleiter, für den die Studie sein sollte, von dem aber unklar ist, ob er sie selbst in Auftrag gegeben hat, der ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke, der das Modell zwar ablehnt, aber trotzdem mitmachen würde.

Am Ende des Textes gibt es einen Link, der angeblich zur Studie führt, tatsächlich aber auf das Tagesschau-Dossier „Aprilscherze“.

Ich bin nicht humorlos, aber ich halte solche Aprilscherze in Zeiten von Vorwürfen sogenannter „Fake News“ und „Lügenpresse“ für gefährlich. Auch wenn nur ein kleiner Teil der Nutzer diese Begriffe benutzen würde, so finden sich doch in einem größeren Teil der Zuschauerschaft Menschen, die mit einem bestimmten Misstrauen mit Medien umgehen. Dieses Misstrauen ist prinzipiell wichtig, denn wir brauchen kritische Nutzer, keine, die uns blind vertrauen. Aber es gilt auch, dieses Vertrauen nicht zu verspielen.

Schließlich ist bekannt, wie schnell die Erregungsmaschine heute läuft, und wie wenige Nutzer tatsächlich einen Beitrag (bis zum Ende) lesen. Und nur am Ende gibt es den Hinweis auf den April-Scherz – und nur durch einen weiteren Klick. Wer den Artikel in sozialen Netzwerken findet, wo er nur Foto, Überschrift und Teaser findet, wer Kommentare nicht liest, in denen andere Nutzer den Charakter der Meldung schon offengelet haben, wer den Artikel nur überfliegt und durch die echten Links und die gesamte Aufmachung auf einen regulären Beitrag schließen muss, wer am Ende nicht auf den Link zur Studie klickt (mal ehrlich: wie viele Leute machen das?), dem entgeht die Auflösung.

Natürlich würde er dann noch nicht auf eine Falschmeldung schließen können, aber Vorurteile wurden bereits bedient. Trägt er aber im Bewusstsein, die Meldung sei richtig, dieses Wissen mit sich herum, und bringt es an späterer Stelle an, bis er wiederlegt ist, fühlt er sich zurecht getäuscht. Und das von einer Quelle, die er bisher noch für seriös hielt. Wir wissen schließlich auch, dass die Auflösung einer Propagandameldung oder Falschnachricht nur noch einen Bruchteil derjenigen erreicht, die diese Meldung für wahr halten.

Die Tagesschau hat sich mit diesem Aprilscherz keinen Gefallen getan. Und andere Medien tun es auch nicht. Gerade jetzt gilt mehr denn je, für Vertrauen zu sorgen anstatt – auch am 1. April – dieses aufs Spiel zu setzen. Zeitungen in Norwegen und Schweden verzichten deshalb dieses Jahr darauf.