Müssen Journalisten über jedes Stöckchen springen, das ihnen Trump hinhält?

Schriftzug an einem Trump-Building in New York (Foto: Stefan Fries)
Schriftzug an einem Trump-Building in New York (Foto: Stefan Fries)

Das ist überspitzt formuliert, zugegeben. Stellt man die Frage so, kann man nur mit Nein antworten. Schließlich springen Journalisten auch nicht auf jede absurde Äußerung anderer Politiker an. Zumindest die Zeiten, in denen Vertreter der AfD mit einem provokanten Tweet, einer grenzverletzenden Interviewaussage oder einem Talkshowauftritt anschließend noch mehr mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten, sind offenbar vorbei. Ich nehme jedenfalls schon einen Rückgang medialer Beschäftigung mit solchen Provokationen wahr.

Verhält es sich mit Donald Trump anders? Da kommt es mir nicht so vor.

Zumindest in meiner persönlichen Twitter-Timeline, die stark von Journalisten geprägt ist, tauchen seine Tweets immer wieder auf. Offenbar springen noch genug. Und auch ich staune gelegentlich noch über seine Dünnhäutigkeit, was Kritik angeht, über seine Unverfrorenheit bei politischen Äußerungen und über seinen undiplomatischen Auftritt; da rutscht auch mir mal ein Retweet heraus.

Die Tatsache, dass er bisher noch keine Pressekonferenz zu der Frage gegeben hat, wie seine politischen Pläne im Detail aussehen, verführen Journalisten dazu, sich an alles zu halten, was er sonst so von sich gibt – vor allem auf Twitter. Dort muss er kein umfangreiches Programm präsentieren mit aufeinander abgestimmten Maßnahmen, er muss kurz und knapp formulieren und sich vor allem keinen kritischen Nachfragen stellen. Umso wichtiger, wie stark sich Journalisten von dieser Art der Öffentlichkeitsarbeit abhängig machen, sich damit beschäftigen und seinen Provokationen nachgehen. Ein paar Gedanken dazu.

Ist es wichtig, was ein US-Präsident sagt?

Definitiv. Auch bisher schon haben Äußerungen von US-Präsident Barack Obama weltweit eine andere mediale Aufmerksamkeit als solche seiner Minister oder, sagen wir mal, des Bürgermeisters von Dallas. Insofern kommt auch Trumps Worten Bedeutung zu. Schließlich gilt der US-Präsident per se als mächtigster Mann der Welt und ist in der Lage, angekündigte Pläne mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit auch in die Tat umzusetzen oder zumindest ihre Umsetzung einzuleiten.

Ist es wichtig, auf welchem Weg sich der Präsident äußert?

Eher nicht. Es wird zwar in der Regel einordnend hinzugesagt, ob es eine Rede an die Nation war, eine Pressekonferenz, ein Statement oder eine Äußerung seines Sprechers. Und inzwischen ist es gang und gäbe, dass Journalisten auch Äußerungen von Politikern via Twitter zitieren. Da muss Trump keine Ausnahme machen.

Zu welchen Themen äußert sich Trump via Twitter?

Die Publizistin Liane Bednarz hat sich bei „Carta“ seine 112 Tweets zwischen seiner Wahl am 9. November und dem 4. Dezember angeschaut. Demnach beschäftigte er sich allein in 24 Tweets mit der Berichterstattung von Medien. In anderen verteidigte er erste politische Handlungen im Zusammenhang mit seiner Wahl, etwa sein umstrittenes Telefonat mit der Präsidentin von Taiwan.

Immer wieder scheint bei Trump verletzte Eitelkeit durch, und seine Tweets zeugen von einer extremen Dünnhäutigkeit, die mich an einem Politiker (auch einem werdenden) immer noch erstaunen, auch wenn wir Trump schon öfter so erlebt haben. Als das Ensemble des Musicals „Hamilton“ bei einem Besuch des designierten Vizepräsidenten Mike Pence diesen dazu aufrief, die Werte der USA hochzuhalten, reagierte Trump ungehalten und forderte eine Entschuldigung. Bei der Verleihung der Golden Globes 2017 ging die Schauspielerin Meryl Streep indirekt auf Trumps Wahl und seine Politik ein.

Auch das passte Trump nicht.

Außerdem thematisierte er immer wieder, dass er nicht die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen habe, wenn auch die Mehrheit der Wahlmännerstimmen. Das tat Trump auch nach dem von Bednarz untersuchten Zeitraum immer wieder, auch im Umgang mit Vorwürfen der US-Geheimdienste, russische Hacker hätten im Auftrag von Präsident Wladimir Putin die Wahl beeinflusst oder das zumindest versucht.

Es zeigt sich, dass Trump vor allem allergisch reagiert auf alle Vermutungen, er könne unter anderen Umständen nicht gewählt worden sein. In anderen Tweets äußert sich Trump zudem zu im engeren Sinne politischen und wirtschaftlichen Fragen – und das hatte augenscheinlich bereits erste Auswirkungen.

Welche Folgen haben Trumps Tweets?

Trump kritisierte beispielsweise, dass die Kosten für die neue Präsidentenmaschine „Air Force One“, die gerade von Boeing gebaut wird, angeblich bereits auf mehr als vier Milliarden Dollar gestiegen seien und fügte hinzu: „Auftrag stornieren!“

Daraufhin traf sich Boeing-Chef Denis Muilenburg mit Trump und versprach, es auch für weniger zu schaffen.

Ford und Fiat wollten angeblich Werke außerhalb der USA bauen bzw. ausbauen und tun das nach Kritik von Trump seinen Worten zufolge jetzt doch nicht.

Hier gibt es also einen zumindest vermuteten Zusammenhang zwischen seinen Tweets und tatsächlichen Handlungen im politischen und wirtschaftlichen Raum.

Welche seiner Tweets sind relevant?

Das sollte die eigentliche Frage sein, der sich Journalisten zumindest in Deutschland stellen sollten (in den USA greifen sicherlich andere Maßstäbe): Welche Relevanz haben einzelne Äußerungen?

  • Scheinen sie persönlichen oder politischen Rivalitäten zu entspringen, die sich im Rahmen dessen bewegen, was in politischen Diskussionen üblich ist oder was wir bereits von ihm gewohnt sind? Oder überschreitet Trump mit ihnen (erneut) Grenzen?
  • Antwortet Trump auf Kritik an ihm mit neuen oder den immer gleichen Argumenten bzw. Vorwürfen? Belegt er diese mit Fakten oder verweist er auf entsprechende Quellen?
  • Wiederholt Trump immer wieder Äußerungen oder Anschuldigungen, mit denen sich Journalisten bereits auseinandergesetzt haben?
  • Haben Tweets unmittelbare Folgen, etwa in Form von verbalen oder sogar handfesten Reaktionen von Personen, Organisationen oder Unternehmen, die mit dem Thema des Tweets in Verbindung stehen?
  • Verbreitet Trump Unwahrheiten oder Halbwahrheiten?

Seine Tweets werden in dieser Hinsicht bereits von einem Account der Washington Post aufgegriffen und einem Faktencheck unterzogen – eine gute Methode, sich mit ihm auf der von ihm gewählten Plattform auseinanderzusetzen.

Es wird wohl schwierig sein, feste Regeln aufzustellen, wie mit Trumps Tweets umzugehen ist. Sicherlich verdienen Äußerungen mit konkreten Auswirkungen eine nähere Beschäftigung als lediglich anklagende oder beleidigende Tweets, sofern sie keine neue Dimension der politischen Kultur eröffnen. Sicherlich eignet sich auch nicht jeder Tweet zur nachrichtlichen Auseinandersetzung, sondern sind einzelne lediglich für eine Hintergrundberichterstattung interessant oder – wie im Fall von Meryl Streep – eher für die Panorama-Seiten.

Es wird interessant sein zu sehen, ob und wie Trump seine Twitter-Politik mit Amtsantritt ändern wird. Klar ist schon, dass er den offiziellen Account des US-Präsidenten @POTUS übernehmen wird – mit leerer Timeline. Fragt sich, ob dort der Präsident oder der Privatmann Trump twittern wird – und inwiefern man das überhaupt noch trennen kann. Fraglich auch, was dann aus seinem privaten Account @realDonaldTrump wird. Der hat 19,3 Millionen Follower, @POTUS dagegen nur 13,1 Millionen (Stand heute). Wird er wirklich auf Millionen Follower verzichten, die bisher nur ihm folgen? Oder nimmt er sie auf den neuen Account mit?

Am Ende bleibt für mich die offen, in welchem Umfang deutsche Journalisten auf den Twitter-Trump eingehen sollten. Ich freue mich auf Anregungen.

Weiterführend: