Der Fall Böhmermann: Mit dem Zweiten sieht man besser

Wer sich Jan Böhmermanns sogenanntes Schmähgedicht gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in seinem gesamten Kontext angesehen hat, dürfte bemerkt haben, dass es Böhmermann nicht wirklich darum ging, Erdogan zu beleidigen. Jedenfalls nicht so, wie er es offensichtlich durch das Gedicht getan hat.

Die Satire ist mehr als das Gedicht. Das Gedicht lässt sich nicht so einfach aus ihr herauslösen und separat behandeln, es ist Teil eines größeren Kunstwerks. Böhmermann und sein Sidekick Ralf Kabelka weisen in einem Dialog ausdrücklich darauf hin, dass es ihnen darum geht, die Grenzen von Satire auszuloten.

Böhmermann: „Also, das Gedicht. Das, was jetzt kommt, das darf man nicht machen?“
Kabelka: „Darf man NICHT machen.“

Das Landgericht Hamburg hat in einer bemerkenswerten Entscheidung Teile des Gedichts verboten, andere jedoch erlaubt, und schreibt dazu:

Diese Grenze sei nach Auffassung der Kammer durch bestimmte Passagen des Gedichts überschritten worden, die schmähend und ehrverletzend seien. Zwar gelte für die Einkleidung eines satirischen Beitrages ein großzügiger Maßstab, dieser berechtige aber nicht zur völligen Missachtung der Rechte des Antragstellers.

Auch das Gericht beschränkte sich in seiner Entscheidung offensichtlich auf das Gedicht. Absurderweise verbot es bestimmte Passagen daraus nicht, was sich in einem lustigen Anhang nachlesen lässt.

(Screenshot: http://justiz.hamburg.de/contentblob/6103298/6b1b7ae264e23809630af9d7716ef2fd/data/schmaehgedicht-jan-boehmermann-pdfanhang.pdf)
(Screenshot: Justiz Hamburg)

Als zweites befasste sich jetzt die Staatsanwaltschaft Mainz mit dem Fall. Sie hat die strafrechtlichen Ermittlungen im Hinblick auf Paragraph 170 Abs. 2 Strafprozessordnung geführt – und sieht den Fall völlig anders. Vor allem sieht sie den gesamten Kontext und nicht nur das Gedicht. Davon zeugt ihr bemerkenswert klares Statement.

Entstehungsgeschichte, aktuelle zeitgeschichtliche Einbindung und die konkrete über das bloße Vortragen des so genannten „Schmähgedichts“ hinausgehende Gestaltung des Beitrages ziehen in Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Prinzipien die Verwirklichung des objektiven Straftatbestandes in Zweifel.

Der Anwalt Udo Vetter kommentiert aus juristischer Perspektive:

Sehr deutlich ordnet die Staatsanwaltschaft das Schmähgedicht auch als Kunst ein, weil es eben den wesentlichen Stilelementen der Kunstgattung Satire genügt: Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung.

Zum einen kann Erdogan gegen die Entscheidung noch Beschwerde einlegen. Zum anderen läuft noch seine Privatklage gegen Böhmermann, die am 2. November in Hamburg verhandelt werden soll. Ganz aus dem Schneider ist dieser also noch nicht. Immerhin sollte in Hamburg die Chance bestehen, dass das Gericht sich nicht auf das Gedicht beschränkt, sondern sich den ganzen Kontext anschaut. Denn mit dem Zweiten sieht man besser.

Auch wenn die Satire im Moment noch nicht vollständig beim ZDF abrufbar ist – der Deutschlandfunk hat das Gedicht in voller Länge dokumentiert.

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