Das Raunen als Argument

Die öffentliche Diskussion, wie sie in sozialen Netzwerken auftritt, leidet unter einem Paradox (sicher sogar unter mehreren, aber mir geht es um eines): die Unfähigkeit vieler, zu argumentieren. Wie leicht ist eine Meinungsäußerung, ein Medienbericht, eine Meinung kommentiert, die dann aber nicht argumentativ unterfüttert wird. Und auch auf Nachfrage gibt es keine weiteren Erläuterungen.

Ich nenne es das Raunen als Argument.

Beispielhaft zeigte es sich heute morgen. Da gab die Juristin und Publizistin Liane Bednarz dem Deutschlandfunk ein Interview, in dem sie ihre Position ausführlich darlegte. Man muss damit nicht einverstanden sein, aber man kann sich keiner Diskussion stellen, die ohne Argumente daherkommt. So schrieb der Publizist Hugo Müller-Vogg:

Das ist natürlich eine zulässige Meinungsäußerung. Sie sollte aber argumentativ gestützt werden können. Wenn man das Interview liest oder hört, sehe ich jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie Müller-Vogg zu seiner Schlussfolgerung kommt. Bednarz ruft dazu auf, bewusst mit Sprache umzugehen, und sagt etwa auch:

Ich meine, man kann diese Gedanken ja nicht verbieten. Das soll man auch gar nicht. Aber diskutieren heißt auch, dass man es problematisiert, weil es ja nun tatsächlich auch problematisch ist, und Meinungsfreiheit wirkt in alle Richtungen. Das heißt, die Kritik an dieser Entwicklung ist natürlich auch von der Meinungsfreiheit und der Debatte gedeckt. Das vergessen häufig diejenigen, die diese Vokabeln benutzen und sich sofort, wenn sie kritisiert werden, zensiert fühlen zum Beispiel.

Wo da oder an anderen Stellen im Interview die Forderung nach einer Sprachpolizei – mit diesem Begriff verbinde ich Zensur, wie auch der Hashtag #1984 nahelegt – zu finden ist, erschließt sich mir nicht. Auf entsprechende Nachfragen nicht nur von mir hat Müller-Vogg bisher nicht reagiert. Er zeigte sich vielmehr gereizt davon, dass Bednarz selbst sein Geraune thematisierte.

So bleibt nur ein Raunen stehen. Es wurde etwas gesagt, das laut ihrem Urheber offenbar keinerlei Beleg verlangt. Es ist dies eine Methode, wie sie auch von Pegida-Anhängern oder AfD-Politikern verwendet wird: Man stellt eine Behauptung auf, die die Diskussion prägen wird, weist aber deren Plausibilität nicht nach.

Es ist eine Argumentation, die man in sozialen Netzwerken immer wieder findet, und bei deren Hinterfragung man Formulierungen erntet wie „Ist ja wohl klar, was ich meine“, „Wer das nicht sieht, ist blind“, „Das ist so offensichtlich, dazu muss ich nicht mehr sagen“. Tatsächlich entzieht man sich damit aber einer Auseinandersetzung, obwohl man diese selbst begonnen hat. Auf Kritik reagiert man dünnhäutig. Man pocht auf sein Recht, seine Meinung sagen zu dürfen, und erträgt es dann nicht, dass jemand anderes eben jenes Recht auch wahrnimmt, den anderen zu kritisieren.

Der politischen Auseinandersetzung ist nicht gedient, wenn sie nur durch Raunen geführt wird.

Nachtrag, 22.09., 13.40 Uhr: Mittlerweile hat Hugo Müller-Vogg geantwortet, allerdings nicht auf die von mir gestellte Frage.

Womit er meiner Argumentation einen weiteren Beleg geliefert hat. Danke dafür.

Nachtrag, 26.09., 12.45 Uhr: Das Raunen als Argument hat bei Müller-Vogg offenbar Methode. Mehrere Tweets, die sich auf die Seximusvorwürfe der Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends beziehen, erheben sehr diffuse Vorwürfe, ohne dass zu erkennen ist, was Müller-Vogg damit meint. Er zweifelt ihre Glaubwürdigkeit an, ohne ein Argument zu liefern, wieso er das tut.

Man würde gerne über die Sachlage diskutieren – aber Müller-Vogg zieht es vor, keine Argumente zu liefern. Das scheint seiner Sache mehr zu dienen. Für einen Journalisten keine Glanzleistung.

6 Gedanken zu „Das Raunen als Argument“

  1. Ich vermute mal, dass die Hugo Müller-Voggs dieser Welt (es gibt noch ein paar andere dieser Gewichtsklasse) es schlicht nicht gewohnt sind, dass sie für das Äußern ihrer Ansichten plötzlich und öffentlich kritisiert werden – und dass die Kritiker dafür auch noch öffentlich Beifall erhalten. Da scheint es einen Kulturwandel zu geben, mit dem sie nicht klar kommen.
    Das fassen sie dann als Zensur auf, obwohl sie immer noch und permanent in allen Medien mit ihren Äußerungen vertreten sind. Und obwohl Zensur natürlich etwas vollkommen anderes ist, aber so kann man sich ja zum gerechten Opfer stilisieren, statt sich selbst zu hinterfragen.

  2. „Man pocht auf sein Recht, seine Meinung sagen zu dürfen, und erträgt es dann nicht, dass jemand anderes eben jenes Recht auch wahrnimmt, den anderen zu kritisieren“

    Das genau kann auf Liane Bednarz angewendet werden, denn auf Argumente gegen ihre oft belehrenden Äußerungen reagiert sie schlicht mit „entfreunden“ auf FB.
    Sie nimmt für sich in Anspruch, „AfD-Expertin“ zu sein und ist fast täglich mit neuerlichen Erkenntnissen zu lesen! Dabei gehört sie zu denjenigen, die die AfD und deren Sprachrohre zu ihrem Leib- und Seelenthema machen. So wichtig sind diese Petry, Gauland u.a. nicht, dass man sich täglich mit ihnen beschäftigen müsste.
    Und nun mutiert sie auch noch zur „Sprachwissenschaftlerin“. OMG, haben wir nichts besseres zu tun in diesen unruhigen Zeiten!
    Frau Bednarz, gehen Sie mal in ein Asylantenheim, beschäftigen Sie sich mal in einer Suppenküche oder mit Obdachlosen, dann erkennen Sie, was wirklich wichtig ist in diesem Land.

  3. Zu meinem großen Bedauern gehört auch Herr Müller-Vogg zum Personenkreis derer, die sich im Verspritzen ihrer menschenverachtenden Häme synchron dazu, anscheinend schon reflexartig, auf Teufel-komm-raus selbst viktimisieren.

  4. Müller-Voggs Meinung ist ein Ausdruck eines Mems, das schon ein wenig länger im öffentlichen Sprechen jegliche Diskussion unterbinden soll: Das Mem vom Bösenlinkengutmenschen (schreibt man zusammen). Ist jemand erst ein mal als schwachsinniger Teddybärverschenker gelabelt, so erübrigt sich jedwede Diskussion. Der ist ja doof und fühlt sich auch noch gut dabei. Fertig. Es ist einfach die konditionale Verknüpfung von Aussage und unterstellter Haltung resp. intellektueller Qualität: WENN du das oder das SAGST, DANN BIST du ein linker Gutnmensch, dumm usw., bestenfalls noch naiv.

    Denjenigen, die so argumentieren, entgeht, dass sie damit schlicht nicht auf Argumente eingehen. Sie verknüpfen eine Aussage konditional mit Verunglimpfung und schon ist der solchermaßen Entstellte auf der Rechtfertigungsspur: Ich bin nicht naiv, nicht dumm, sehe die Verwerfungen der Migration! meint er dann sagen zu müssen. Und die Inhalte fallen hinten über. Genau das soll mja auch erreicht werden. Werden unsere neuen Rechten auf FB dann tatsächlich einmal argumentativ in die Enge getrieben, wird einfach der gesamt Strang gelöscht. Schon mehrfach so erlebt.

    Einer der Gründe für diese Diskussionsunkultur scheint mir die Tatsache zu sein, dass auf FB beispielsweise nicht moderiert wird. Jeder Depp kann da einfach seine Konditionalbewertung abgeben…
    Das ist übrigens ein alter Goebbelstrick. Wenn du das oder das sagst, dann BIST du … und dann folgt ein Negativum. Es ist überhaupt auffällig, wie viele alte Goebbelstricks die neuen Völkischen verwenden, Tricks mit denen er ab 1926 als sog. Gauleiter von Berlin die Hauptstadt Schritt für Schritt radikalisierte.
    Und wie Peter Freidrich hier richtig erkennt, gehört zu diesem Konditionalspiel ganz unbedingt das Selbstvictimisieren dazu. Aber das haben Hitler und Goebbels ja auch getan (Opfer des Schandfriedens, des Systems, Opfer des Dolchstoßes).

    1. Da ist aber einer besonders intelligent, glaubt seine Weisheiten als Lehre preisgeben zu müssen. Noch schnell einige Fremdworte eingefügt, das sitzt! OMG

    2. Herr Hochgrebe, Ihr Kommentar bringt die Diskussion aber auch nicht sonderlich voran. Wenn wir hier über einen konstruktiven Diskussionsstil schreiben, ist es eher kontraproduktiv, wenn Sie die Meinung eines anderen Diskutanten so abqualifizieren anstatt inhaltlich etwas Neues beizusteuern.

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